16.04.2019 Warum ?!

16.04.2019 Warum ?!

Visite.

Der Arzt, der mich operiert hat, kommt das erste und einzige Mal.
Er drückt mir sein Beileid aus. Das finde ich nett. Er ist der erste, der das sagt.

Er sagt, dass auch eine Spontangeburt möglich gewesen wäre. Was soll ich dazu sagen? Ich wurde ja nicht gefragt.

Sagt mir, dass es keine offensichtliche Todesursache gibt. Ob wir eine Obduktion wollen?

Nein. Zum zehnten Mal. Nein.

Weitere Tests? Nein.

Unvorstellbar für die Ärzteschaft in diesem Krankenhaus. Als ob ich wollte, dass mein Kind stirbt, werde ich behandelt. Wenn ich kein Interesse an der Ursachenklärung habe.

Er will den Katheter entfernen.

Als ich gestern Abend Zähne am Waschbecken geputzt habe, bin ich fast ohnmächtig geworden. Mein Kreislauf ist zusammengebrochen. Auf mein Klingeln reagierte niemand, erst als ich lange und laut um Hilfe rief. Die zwei Meter zurück zum Bett hat mich der Schüler mehr getragen als dass ich selbst gelaufen bin.

Aber jetzt soll ich mehrmals täglich aufs Klo im Flur?

Ich sage Nein. Er sagt, ich kann ihn noch einen Tag behalten.
Er sagt, ich muss mich bewegen. Andere Frauen stehen schon einen Tag nach dem Kaiserschnitt auf.

Andere Frauen haben auch ihre Babys, weine ich.

Schmerzen haben die auch, entgegnet er verständnislos.

Arschloch, sage ich. Nur in meinem Kopf. Sehr oft, bis heute.

Auf meinen Stuhlgang ist er versessen. Ich hatte keinen seit der OP. Was mich nicht weiter wundert, ich habe seither nichts gegessen und unter der Geburt zweimal erbrochen. Ich bin leer.

Ist dem Personal egal. Wie alles was ich sage oder will.

Fortan werde ich mit Abführmaßnahmen gequält. Oral und rektal. Über die nächsten Tage.

Nachts kann ich zusätzlich nicht mehr schlafen, weil mein ganzer Magen-Darm-Trakt schmerzt.

Er verlässt das Zimmer und lässt seine Assistenzärztin bei mir. Sie soll mit mir sprechen.

Zunächst geht es um meine Blutwerte. Der CRP lag am Vortag bei 300. Grenzwert sei 5. Man ist besorgt und fährt die Antibiotika Therapie hoch. Drei Antibiosen intravenös. Jeder Zugang geht innerhalb spätestens eines Tages kaputt. Dann noch die Blutabnahmen. Ich habe keine Venen mehr und jede neue Nadel bringt mich über meine Schmerzgrenze. Es ist zu viel.

Dann kommt sie auf meine Psyche zu sprechen und will mich aufbauen.

Ich kann ja immer noch andere Kinder kriegen, sagt sie.

Andere in meinem Alter hätten ja noch gar keine Kinder!

Ich verweise sie des Zimmers.

Der hohe CRP liegt am toten Kind lange im Bauch, sagt das Krankenhaus.

Der hohe CRP liegt an der Notsectio im unsterilen OP, sagt die Hausgeburtshebamme.

Erst der Beginn eines langen mit dem Finger auf sich gegenseitig Zeigens.

In jedem Fall fühle ich mich elend.

Ich habe leichtes Fieber, ich fühle mich krank.

Als sie gegangen ist, kommt die Krankenschwester und entfernt den Katheter.

So läuft das also.

Wir müssen uns für ein Bestattungsunternehmen entscheiden.

Ständig fragt irgendwer und macht Druck.

Draußen scheint die Sonne. Mir ist es zu hell.

Ich habe Schmerzen.

Blümchen und Jörn kommen.

Es ist so unglaublich schön, sie zu sehen. Gott, fehlt Blümchen mir. Ich fühle mich sofort anders.
Sie erschrickt. Ich sehe anders aus. Habe extreme Schmerzen und es geht mir so furchtbar. Sie war nicht darauf vorbereitet, dass ich gerade eine andere Mama bin als die, die sie kennt.

Dieses Mädchen! Wie sie reinkommt und aufgeregt ist! Wie sie auf mich zustürmen will, dann aber Halt macht, weil sie verunsichert ist.

Die Liebe zu ihr flutet mich und ich werde ruhiger. Ich lade sie ein, zu mir zu kommen und das tut sie.
Jörn sieht fertig aus. Viele Jahre älter, dünner. Man sieht ihm an, dass die Situation ihn sehr fordert und ich beneide ihn nicht darum, gerade für Blümchen sorgen zu müssen und sich nicht die Auszeit für den Abschied von Lene nehmen zu können.
Die letzten drei Tage war Blümchen bei unserer Nachbarin, aber jetzt braucht sie auch mal wieder Eltern, sagt er.

Eine Frau von den frühen Hilfen kommt.

Sie ist entsetzt darüber, wie der Umgang hier mit mir ist.
Dass ich noch keine einzige Hebamme gesehen habe.

Sagt, dass das Krankenhaus sich normalerweise um die Sternenfotografen kümmert.

Kann nicht fassen, dass ich noch keine Mappe für verwaiste Eltern bekommen habe.

Welches Bestattungsunternehmen wir wollen?

Immer fällt der gleiche Name. Gut, nehmen wir das. Es ist mir total egal.

Ich will meine Ruhe.

Ich will nicht ständig mit irgendwas behelligt werden.

Ich will alleine sein.

Immer wenn ich gerade ein bisschen weinen kann, kommt wieder wer und will irgendwas.

Ich spüre Bewegungen in meinem Bauch. Sie sind sogar von außen sichtbar. Genau da, wo ich dachte, dass Lenes Füße und Hände sind.

Nur ist sie nicht mehr drin.

Ich habe meinen Darm für mein Kind gehalten.

Wenn ich Ruhe habe, tauchen meine Fragen an mich auf.

Warum ist Lene gegangen? Ist es, weil ich eine schreckliche Mutter bin?

Ist sie gegangen, weil sie nicht bei mir sein wollte?

Was kann man schon für eine Mutter sein, wenn man zwei Wochen lang nicht merkt, dass das Kind unter dem Herzen tot ist?

Die Schwangerschaft war zehrend.

Ich habe die bis in die 20. Woche gekotzt. Blümchen trotzdem alleine betreut. Keine Unterstützung durch Familie oder Kindergarten. Mein Mann machte mir trotzdem Druck, wie die Wohnung aussieht. Dass ich mehr Ruhezeiten brauchte und er öfter als gewohnt übernehmen musste.

Ich war gestresst und nicht besonders belastbar und war Blümchen gegenüber oft gereizt. Ist Lene deshalb gegangen? Weil sie nicht so eine Mama haben wollte?

Wieso konnte ich sie nicht schützen? In meinem Bauch sollte sie doch sicher sein! Und sie stirbt einfach!

Ich habe so lange auf sie gewartet und wurde dann so schnell schwanger, nur, damit sie geht?

Ich wollte sie so sehr. Sie kann doch jetzt nicht tot sein!

Ich hätte alles getan für sie. Alles.

Wie kann sie mich verlassen, wo ich sie so sehr wollte?

Gleichzeitig werde ich mit Anteilnahme und Mitgefühl geflutet.

Unglaublich viele Nachrichten erreichen mich.

Ich bin aufgewachsen damit, dass ich immer irgendwas „zu“ war. Zu empfindlich zum Beispiel. Dass man an allem selbst schuld ist. Dass ich mich nicht so anstellen soll. Indianer keine Schmerzen kennen. Egoistisch bin.

Mit Blümchen durfte ich eine ganz andere Welt kennenlernen. Die der Bedürfnisse und Gefühle und der Beziehung. Sie hat schon eine versteckte Wahrheit in mir berührt und ich habe mit ihr ein Umfeld gefunden, in dem ich ein bisschen mehr akzeptiert war, als ich es je war. Von meiner Familie habe ich mich weitestgehend distanziert.

Mein totes Kind ist so schlimm für mich, dass ich merke, dass ich mich anstellen darf. Dass ich traurig sein darf. Dass ich mich öffnen darf, für das ganze Mitgefühl, das mich wärmt.

Das fühlt sich schön an. Dass so viele Menschen auf einmal lieb zu mir sind.

Dass es so wahnsinnig viele sind, berührt mich. Vielleicht bin ich doch nicht der schlimmste Mensch auf der Erde.

Die Stimme in mir ist aber sehr laut. Sie übertönt alles.

Selbst schuld, dass dein Kind tot ist. So wie du bist. Mit dir kann es keiner aushalten. Nicht mal dein eigenes Kind.

Am Abend schreibt mir Lisa, dass sie eine Spendenaktion ins Leben gerufen hat. Ich folge dem Link und es wurden 500€ gespendet! Ich kann es nicht fassen.
Fremde und bekannte Leute spenden da für uns. Ich bin völlig überwältigt.

Zum Schluss ist es noch viel mehr.

Teil 4 von 14

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