17.04.2019 Lisa - Jörn und die Hebammen

17.04.2019 Lisa - Jörn und die Hebammen

Morgens schreibt Lisa. Sie will mir Lene nochmal bringen und sicher sein, dass das achtsam geschieht. Auch ihr ist aufgefallen, dass ich in diesem Krankenhaus nicht gut aufgehoben bin.

Ich habe ein schlechtes Gewissen. Sie hat selbst kleine Kinder und wir kennen uns doch eigentlich gar nicht! Aber trotzdem fühle ich mich so verbunden und bin unendlich dankbar, dass sie da ist. Was sie alles tut!

Ich nehme ihr Angebot an.

Sie schreibt, dass sie Lene pucken will. Damit ich sie halten kann!

Oh Gott! Jaa! Ich werde mein Kind endlich halten dürfen! Wie groß ist meine Sehnsucht, sie endlich in den Arm zu nehmen! Vier Tage nach ihrer Geburt.

Wie anders hatte ich mir alles vorgestellt. Ich dachte, ich gebäre sie. Ich dachte, sie darf auf meine Brust liegen. Zuhause. Wir liegen einfach im Bett und Blümchen kommt dazu und darf ihre Schwester kennenlernen. Darf sie auch halten. Und ich habe beide Mädchen bei mir.

Sie will eine Freundin zu ihrer Unterstützung mitbringen. Ich weiß, wer sie ist. Wir haben uns einmal bei einem Müttertreff über ein Schnittmuster unterhalten.

Noch eine völlig Fremde, die sich Zeit nimmt. Ich verstehe das gar nicht.

Wir verabreden uns für den Nachmittag.

Am Vormittag kommt Jörn. Wir haben das erste Mal die Gelegenheit, uns zu unterhalten.

Die Tage davor hatten wir immer nur kurz Kontakt übers Handy.

Wie geht es dir?

Wie geht es Blümchen?

Wer nimmt Kontakt zum Bestattungsunternehmen auf?

Kannst du mir Wattestäbchen mitbringen?

Wie willst du die Beerdigung?

Er erzählt, wie alles für ihn war.

Wie er mit Blümchen in der Stadt war.

Wie sie einen Blumenstrauß für mich und eine Rassel für Lene gekauft haben.

Wie er Blümchen gesagt hat, dass sie gleich große Schwester sein wird.

Wie aufgeregt er war.

Wie er gleichzeitig mit dem Rettungswagen zuhause eingetroffen ist.

Wie er Blümchen gerade noch so in die Tür der Nachbarin stoßen konnte, damit sie die Aufregung im Treppenhaus nicht direkt mitbekommt.

Dass die zweite Hebamme in ihrem Privat PKW ins Krankenhaus hinterherfuhr.

Sie ihn nicht gefragt hatte, ob er mitfährt.

Er auch nicht darüber nachgedacht hatte.

Dann mit dem Fahrrad fuhr.

Wie er in einem Nebenraum wartete.

In froher Erwartung, dass ihm gleich jemand unser Kind bringt.

Dass dann die Hausgeburtshebamme kam.

Ihm sagte, dass Lene tot ist.

Wie der Kinderoberarzt kam und ihm eine Obduktion anbot.
Wie wieder die Hausgeburtshebamme kam und ihn zu Lene brachte.

Wie überfordert er war.

Wie oft ich gefragt hatte, ob es wirklich stimmt.

Wie er Blümchen bei der Nachbarin abholte.

Wie Blümchen total zusammengebrochen ist, weil sie dachte, sie würde bei der Nachbarin übernachten.

Dass es ihm aber total wichtig war, ihr zu sagen, dass Lene gestorben ist.

Wie viel Kraft es ihn gekostet hat, dass sie ausflippt wegen der Nachbarin.

So viel schlimmeres war gerade passiert.

Dass die Suppe vom Morgen noch auf dem Herd köchelte.

Dass die Handtücher zum Wärmen des Neugeborenen noch im angeschalteten Backofen waren.

Er erzählt, dass er der Hausgeburtshebamme unseren Schlüssel mitgegeben hatte, damit sie ihre Sachen holen kann.

Dass er dachte, sie würde auch ein bisschen aufräumen.
Wie er nach Hause kam und es eigenartig nach dem Fruchtwasser roch.

Wie er das Schlafzimmer geputzt hat.

Gleichzeitig Abendessen für Blümchen gemacht hat.

Wie fertig er ist.

Mein Herz bricht.

Ich realisiere das erste Mal, dass ich nicht die einzige war, die sich wie verrückt auf Lene gefreut hat. Dass auch mein Mann und meine Tochter unser Baby verloren haben.

Wie anders ihr Tag war.

Ich halte kaum aus zu hören, wie glücklich die beiden noch in der Stadt waren.

Wie anders jetzt auch alles für sie ist.

Zu meinem eigenen Schmerz kommt jetzt auch noch seiner.

Ich mache mir Sorgen. Er kommt mir sehr wackelig vor.

Am Nachmittag kommen Lisa und die Freundin.

Lene ist in eine große Decke gepuckt.

Ob ich bereit bin?

Und wie. Gebt sie mir endlich. Ich strecke meine Arme aus. Sie geben sie mir in die Arme.

Am liebsten würde ich schluchzen. Weinen. Vor lauter Gefühlen.

Glück, sie endlich zu halten.

Schmerz.

Verzweiflung, dass sie gestorben ist.

Ich kann nur fiepen. Die Wunde tut so weh.

Die Freundin bemerkt es. Sie äußert Mitgefühl. Kennt das. Wenn man einfach nur heulen will und es nicht geht.

Sie sagt, es gibt Kühlbettchen. Die kann man beim Bestattungsunternehmen ausleihen und somit auch sein gestorbenes Baby ein paar Tage zuhause haben.

Ich bin beeindruckt von so einer Möglichkeit. Aber es fühlt sich nicht richtig an für mich.

Sie sagt, Lene ist ein ganz normales Baby.

Das zu seiner Mama gehört, wie alle Babys.

Sie ist da ganz klar und bestimmt.

Diese zwei Sätze zusammen damit, dass ich sie endlich im Arm haben darf, verändern etwas bei mir. Ihre Klarheit und Bestimmtheit wirken auf mich.
Lene wird zu meiner Tochter. Auf die ich mich so gefreut habe. Die ich so unglaublich liebe.

Die Verbindung, die ich im Bauch zu ihr hatte, entsteht jetzt auch außerhalb des Bauches.

Sie ist nicht mehr nur das tote Baby.

Und trotzdem fällt es mir weiterhin so schwer, sie anzuschauen.

Am Abend kommt noch die Hausgeburtshebamme.

Ich bin schon sehr voll vom Tag.
So viele Gefühle.

Ich bemerke ihre Anspannung. Und freue mich so, sie zu sehen.

Ihr muss ich nicht erklären, was passiert ist. Sie war dabei.

Sie ist mir vertraut.

Ich frage sie, wie die Geburt für sie war.

Und sie fängt an zu erzählen.

Auch sie hat nach der Geburt geweint.

Wie schnell alles ging.

Dass sie zuhause am Füßchen schon gesehen hat, dass Lene tot ist.

Dass wir froh sein können, dass das erste angefragte Krankenhaus voll war. Dort hätte man uns Vorwürfe gemacht.

Vorwürfe? Ja, gut, dass sie voll waren. Vorwürfe hätte ich keine gewollt. Ich fühle mich schuldig genug.
Dass sie es mir nicht sagen konnte, weil ich mit der Verlegung ins Krankenhaus schon so überfordert gewesen sei.

Dass sie dem Notarzt signalisiert hat, dass das Baby tot ist.

Dass der Notarzt betroffen die Hände vor sein Gesicht gehalten hat.

Oh, wie nett. Ich bin offen für sein Mitgefühl.

Wie froh sie ist, dass er sie hat machen lassen.
Manche Notärzte würden in einen Aktionismus verfallen.

Wie sie mich die Treppe runtergetragen haben.

Ja, ich bin schwer. Das war bestimmt kein Spaß.

Dass sie in Socken in den Rettungswagen eingestiegen ist.

Krass.

Die Papierabdeckung ist vor dem Krankenhaus vor mir runtergeweht, sage ich.

- Man hat nichts gesehen. Sie achtet immer sehr darauf, dass ihre Frauen bedeckt sind.

Wie schnell alles ging. Irre schnell ging alles.

Dass das Rettungsteam vor dem OP gewartet hat. Alle haben mitgefiebert.

Dass es ganz still war im OP als Lene geboren war. Alle sehr betroffen waren.

Krass. Das klingt so menschlich.

Wie die zweite Hebamme „gekämpft hat, wie eine Löwin, Lene zu vermessen und Bilder zu machen.“ Das Krankenhaus Personal wollte sie gleich wegbringen.

Aber die zweite Hebamme hat sich eingesetzt!

Krass. Zum Glück hat sie das gemacht.

Wie sie sich mit dem Kinderarzt angelegt hat.

Dass sie meinem Mann sagen wollte, dass Lene tot ist.

Nicht der Kinderarzt, der meinen Mann ja gar nicht kennt!

Wie der Kinderarzt trotzdem kurz nach ihr reingestürmt ist. Meinen Mann zu einer Obduktion drängen wollte.

Dass sie schon am nächsten Tag mit der zweiten Hebamme wieder die nächste Geburt begleitet hat.

Dass sie jetzt erstmal Urlaub plant.

Sie fragt nach dem Kaiserschnitt.

„Kaiserschnitt ist scheiße.“, hatte ich in der Schwangerschaft gesagt und sie zitiert mich.

Jetzt ist es ok, der wird später noch für mich zum Thema, sage ich.

Ob ich mich eigentlich daran erinnern könnte, wie ich bei der letzten Vorsorge so schnell aufgestanden sei und gesagt hätte, dass ich Lene ja spüre, sie keine Herztöne kontrollieren müsse.

Ich weiß nicht, was sie meint.

Ich bin erschöpft vom Tag.

Und verstehe erst viel, viel später, was da lief.

Teil 5 von 14

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