Hypoplastisches Linksherz. Schwerster Herzfehler. Mindestens drei Operationen am offenen Herz. Sterberate hoch. Lebenslange Medikamenteneinnahme. Lebenserwartung ungewiss.
Die Diagnose erhielten wir in der 22. Schwangerschaftswoche. Etwa die Hälfte der Schwangerschaften wird daraufhin abgebrochen, doch wir entschieden uns ohne nachzudenken für unser Baby. Es hatte eine Chance auf ein lebenswertes Leben und die wollten wir ihm und uns ermöglichen. Mir fiel es die ersten Wochen schwer, die Schwangerschaft weiter zu genießen und mich auf das Baby in meinem Bauch zu freuen. Ich erfuhr, dass ich ihn wahrscheinlich sehr lange nicht in die Arme nehmen durfte, dass er sofort intensivmedizinisch versorgt werden würde, dass die Besuchszeiten wegen Corona sehr eingeschränkt seien und dass die erste Operation bereits nach sieben Tagen stattfände und man sich besser auf den postoperativen Anblick vorbereiten sollte. Dass man als Münchner derzeit keinen Platz im Ronald Mc Donald Haus nebenan bekäme. Jede einzelne Information war schlimm, Und doch es gelang mir mit der Zeit, mich wieder auf das Baby zu freuen.
Und als sich Augustin am 2. Juli auf den Weg machte, waren wir voller Vorfreude und fühlten bereit, mit und für ihn zu kämpfen. Augustin kam zwei Wochen zu früh und war leichter als wir es ihm für die schwere Zeit, die vor ihm lag, gewünscht hätten. Die Geburt war schön und unkompliziert und Augustin brüllte - er brüllte wie ein gesundes starkes Kind. Mein Mann und ich waren unfassbar stolz auf ihn. Entgegen aller Erwartungen legte mir die Hebamme kurz auf die Brust, bevor die Kinderärzte ihn zur Erstversorgung mitnahmen. Einen Moment, den wir, weil er nicht selbstverständlich war, unglaublich wertschätzten. Ebenso, dass die Kinderärzte Augustin noch einmal zu uns in den Kreissaal fuhren, bevor er auf die Intensivstation kam. Er war unfassbar süß und klein und man sah ihm in keinster Weise an, wie krank er war.
Am nächsten Tag wurde unser kleiner Sohn abgeholt und ins Herzzentrum verlegt und ich entlassen. Die nächsten Tage wechselten wir uns ab - einer war im Krankenhaus, einer bei unserer kleinen Tochter. Weil Augustin seine Medikamente gut vertrug, gaben die Schwestern ihn uns mehrere Stunden am Tag auf den Schoß. Da lag er dann - ein dickes Handtuch zwischen ihm und uns - verkabelt und mit noch relativ wenigen Infusionen. Schlief, trank Flasche oder schaute sich um. Ich war verzaubert und konnte ihm stundenlang dabei zuschauen. Es war kein normales Frühwochenbett, doch wieder war es mehr als ich erwartet hatte und genoss es umso mehr. Schlimm war es ihn jeden Abend allein zu lassen und mit der U-Bahn ans andere Ende der Stadt zu fahren. Augustin machte sich gut, er war stabil und ruhig, sammelte seine Kräfte. Am Donnerstag, mit genau einer Woche wurde er operiert. Wir warteten lange auf den Anruf und erlösende Nachrichten. Doch mit dem Anruf kam kein Aufatmen. Augustin hätte während der OP Probleme gehabt, man müsse die nächsten Tage und Nächte abwarten, wie sich sein Zustand entwickle.
Wir durften doch ins Ronald Mc Donald Haus einziehen, in seiner Nähe sein. Die ersten beiden Tage verliefen ruhig, besser als erwartet. Wir holten unsere Tochter zu uns, die bei den Großeltern war. Begannen langsam und vorsichtig aufzuatmen. Bis in der Nacht von Samstag auf Sonntag das Telefon klingelte. Kreislaufstillstand, Reanimation, ECMO. Ob wir kommen wollten. Mein Mann ging zu ihm, ich blieb liegen. Ohnmächtig. Googlete, was ECMO ist. Am nächsten Morgen besuchte ich meinen Sohn, zu den Drainagen und Zugängen hatte er jetzt noch zwei dicke Schläuche, die Fremdblut in seinen Körper führten und wieder hinaus. Er war an der Dialyse. 13 Schläuche zählte ich. 23 Medikamente. Eine Stunde hätte man Augustin wiederbelebt, erzählte die Ärztin. Und wieder sollten die nächsten Tage zeigen, wohin der Weg führen würde. Abwechselnd saßen wir am Bett, erzählten Geschichten, sangen Lieder und beschwörten unseren kleinen Sohn nicht aufzugeben. Und er kämpfte. Die ECMO konnte abgebaut werden, die Beatmung entfernt werden. Langsam wurden die Medikamente reduziert. Augustin schien alles zu geben, war stark und überraschte jeden auf der Station. Bis ein paar Tage später erneut sein Herz aufhörte zu schlagen. Wieder holten ihn die Ärzte zurück, dieses Mal waren wir dabei. Wieder kämpfte sich Augustin zurück, weg von der Beatmung, weg von den Medikamenten. Er bekam eine Infektion, endlich mal eine normale Komplikation, dachten wir. Doch zuviel für das schwache Herz unseres Sohnes. Er musste ein drittes Mal reanimiert werden. Erholte sich nicht mehr so schnell. Wurde ein viertes Mal geholt. Dieses Mal waren wir wieder dabei. Ob es ok sei, was sie da immer wieder machten, fragte der Oberarzt. Und dieses Mal sagten wir Nein, es sei nicht mehr ok. Unser Kind wolle und könne nicht mehr, ob sie das nicht sähen. Doch, aber sie müssten es machen, ob ein lebenswertes Leben danach noch möglich sei, wäre zu diesem Zeitpunkt nicht entscheidend. Aber für uns. Unser Augustin war jetzt neun Wochen alt, acht davon zwischen Leben und Tod. Waren wir anfangs noch sicher, dass er kämpfen möchte, wurde uns immer mehr bewusst, dass er nicht will. Dieses Leben nicht will. Und doch gab es keinen Ausweg für ihn. Solange sie ihn holen können, würden sie ihn immer wieder holen, sagte der Oberarzt.
Wir führten viele Gespräche. Ließen schriftlich festhalten, dass unser Sohne keine fünfte Reanimation mitmachen müsse. Entschieden uns zusammen mit den Ärzten, die Medikamente zu reduzieren, um zu sehen, welchen Weg Augustin selbst wählen würde. Statt seines Wärmebettchens bekam Augustin ein großes Bett, wo wir uns dazulegen konnten. Die Besuchszeiten wurden für uns außer Kraft gesetzt, wir durften kommen und gehen, wann wir wollten. Wir durften unseren Sohn jetzt selbst versorgen. Auch wenn es nach wie vor wegen der vielen Zugänge nicht möglich war, mit ihm zu kuscheln, genossen wir die Zeit mit ihm. Unsere Tochter durfte kommen und legte sich zu ihm ins Bett. Wir lasen den Geschwistern Bücher vor, wickelten Augustin zusammen und waren für eine halbe Stunde eine Familie. Übers Wochenende und weil man langsam die Medikamente absetzte, sollte unsere Tochter wieder zu Opa und Oma. Wir wollten Tag und Nacht für Augustin da sein.
Am Freitag vormittag wurden die Medikamente reduziert und wir vorsichtig darauf vorbereitet, dass es sich in den nächsten Tagen zeigen würde, wie Augustin darauf reagiert. Ich durfte ihn auf den Schoß nehmen. Wir gingen Mittagessen. Mein Mann war unruhig, ging schnell wieder ins Krankenhaus. Ich ging einkaufen, stand um 14:14 Uhr wieder an der Schleuse. Wir sprachen kurz, Augustin schlief. Ich legte mich zu ihm, streichelte seine Hand und begrüßte ihn leise. Er begann im Schlaf zu weinen. Hörte nicht auf, ließ sich nicht beruhigen. Irgendwie wussten wir, dass es soweit war. Baten die Schwester, die Ärztin zu holen. Der Monitor piepste, die Werte wurden schlechter. Die Ärztin kam. Nach und nach mehr Ärzte. Sie würden jetzt nichts machen, außer wir wollen es. Nein, wir waren sicher. Augustins Leidensweg sollte hier ein Ende haben. Der Monitor wurde ausgeschaltet. Wir standen links und rechts von unserem Sohn und redeten mit ihm. Die Ärzte hielten sich zurück, erklärten uns nur leise, dass er es gleich geschafft habe. Dass das Luftholen ein Reflex sei, dass er keine Schmerzen habe. Augustin starb sanft und friedlich am 11. September um 14.32 Uhr. Die Ärzte befreiten ihn von seinen Infusionen und Kabeln und gaben ihn meinem Mann auf den Schoss. Wir weinten, wir trugen ihn durchs Zimmer, hielten ihn wie ein normales Baby, hielten uns fest. Eine Schwester nahm Fußabdrücke. Wir wuschen ihn. Ließen sternenkinder fotos von ihm machen. Hielten ihn auf dem Schoß bis er kälter wurde. Legten ihn abends zurück in sein großes Bett und gingen. Es war leichter ihn jetzt zu verlassen wie wir ihn jeden Abend zurücklassen mussten.
Es ist nun einen Monat her, dass Augustin nicht mehr da ist. Ich habe es bisher nicht geschafft, die Fotos, die Sternchenfotograf Uwe Dreier geschossen hat, anzusehen. Aber ich freue mich sehr auf den Augenblick, an dem ich es kann. Augustins Tod macht uns sehr traurig aber seine Geschichte zeigt auch, wo medizinische Möglichkeiten auf ethische Grenzen stoßen. Wir mussten Augustin nach zehn Wochen gehen lassen, weil man ihm nicht helfen konnte. Man konnte ihn immer wieder ins Leben zurückholen und mit Medikamenten am Leben erhalten. Das lebenswerte Leben, das wir uns für ihn gewünscht hätten, hätte er nie haben können.
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