Elise und der Mond

Elise und der Mond

Das Jahr 2016 begann mit einem positiven Schwangerschaftstest. Unerwartet. Wir hatten bereits 2 Kinder, unsere beiden Jungs im Kindergartenalter, ein weiteres Kind war nicht geplant. Nach einigem Gefühlschaos stellte sich doch schnell große Freude ein, die aber nicht lange halten durfte. Nur 11 Tage nach dem Test setzten Blutungen ein und unser Würmchen zog von uns. Das passiert sehr oft, sagten wir uns, es war ja auch noch sehr früh, 6.SSw... Was blieb, war die Erkenntnis, dass ein weiteres Kind bei uns sehr wilkommen wäre. Und so blieb der Wunsch nach einem dritten Kind. Vielleicht ein kleines Mädchen zu unseren zwei Räubern... Nur knapp 3 Monate später testete ich erneut positiv.

Verhaltene Freude. Die Angst, dass es nicht bleibt, war nun da. Und auch sonst war da nichts von der Unbeschwertheit der vorhergehenden Schwangerschaften. Ein ungutes Gefühl wollte sich in mir ausbreiten, ich versuchte es zu verdrängen. Der erste Ultraschall - kein Herzschlag.

Noch zu früh, noch zu klein. Ein paar Tage später war das Herzchen im Monitor zu sehen. Ein kleiner pulsierender Punkt. Erleichterung. Einsetzende Schwangerschaftsübelkeit in den nächsten Tagen, bleierne Müdigkeit und der kräftezehrende Alltag mit einem 30-Stunden-Job und zwei Kindern. Der Ultraschall in der 12. SSw stand an. Kein gutes Gefühl. Der Arzt bestätigte dies, als er die Worte "offener Bauch" aussprach. Das könne verschieden Ursachen haben und sei in einem gewissen Entwicklungsstadium auch normal, ich solle zur frühen Feindiagnostik. Meine Hebamme versuchte mich zu beschwichtigen, aber ich ahnte schon, dass es meinem Mädchen nicht gut geht. Ja, auch dass es ein Mädchen sein sollte, spürte ich schon. Die Feindiagnostik eine Woche später ergab nichts Neues. Ein offener Bauch, welcher Art konnte man auch hier noch nicht erkennen. Wieder warten, wieder nach erschreckenden Ergebnissen googlen, wieder bangen.

In der 14.Woche erneute Feindiagnostik. Hier die Diagnose "Omphalocele". Darmanteile lagen also außerhalb des Körpers in einem sogenannten "Bruchsack". Dies widerrum könne ein Anzeichen für Trisomie 18 sein. TRISOMIE 18?! Wir doch nicht, das trifft doch immer nur andere, man hört davon, man liest davon.... Ob wir eine Fruchtwasserpunktion machen wollen? Nein! Natürlich nicht! Wenn es "sonst nichts weiter" ist... Unser Mädchen würde in einer größeren, darauf spezialisierten Klinik 80km von unserem Wohnort per Kaiserschnitt zur Welt kommen müssen. Anfang Dezember. Direkt nach der Geburt erfolgt eine OP, manchmal mehrere. Wochenlanger Klinikaufenthalt, Kostaufbau, ständige medizinische Überwachung. Und das alles kurz nachdem unser Großer in die Schule gekommen sein würde. Mein Mann arbeitet in der Pflege in Schichten. Er ist Wohnbereichsleiter. Er kann nicht einfach so ausfallen. Wir würden also den Opa, der bereits in Rente ist ins Boot holen müssen. Einer muss ja morgens für die Kinder da sein und sie in Kita und Schule bringen, oder eben abholen. Und das, wo für den Großen mit der Schule sowieso alles neu ist... Mir blutete das Herz bei dem Gedanken meine Familie so allein zu lassen. Und das auch noch über Weihnachten und Silvester. Aber irgendwie würden wir das schon schaffen, für unsere Tochter! Ein paar Wochen zwischen Freude und Tränen, Hoffen und Bangen, ständigem Kreisen der Gedanken um das Organisatorische, mit ausgeprägter Schwangerschaftsübelkeit und den ersten zarten Tritten gegen meine Bauchwand vergingen. Dann kam der Tag der eigentlichen Feindiagnostik. 19. SSw. Es war Juli. Es war sehr heiß. Der Raum war abgedunkelt. Nur das Licht vom Bildschirm erhellte den Raum. Die Omphalocele - der Bruchsack - war unverändert, es lagen "nur" Darmschlingen darin. Keine Organe. Erleichterung. Dann der Schall aufs Herz. Der Arzt schaute angestrengt und sehr ernst. Er schallte sehr lang. Immernoch das Herz. Der Ventilator kreiste unerbitterlich und brummte in das unerträgliche Schweigen des Arztes. Dann die leise Stimme. "Ein Herzfehler. Ein schwerer Herzfehler." Mein Mann atmete hörbar ein und aus. " Fallot´sche Tetralogie." Die Worte schlugen mir wie ein Hammer in meine Magengrube. Auch das noch. Das darf doch alles nicht wahr sein... Der Gedanke "Trisomie 18" kehrte augenblicklich wieder in meinen Kopf zurück. Ich konnte dem Arzt kaum noch zuhören. Der Ventilator schien inzwischen doppelt so laut. Nach und nach zeigte sich auf dem Ultraschall das gesamte "Ausmaß". All das hatte man vor 5 Wochen noch nicht erkennen können. Zwerchfellhernie. Der Bauchraum war auch nach innen nicht abgeschlossen. Organie wie Leber und Magen waren bereits in den Brustkorb gerutscht, wodurch sich die Lunge nicht entwickeln konnte. Das Herz war nach rechts verdrängt. Fehlendes Nasenbein, Hirnzysten. Fast zwei Wochen zu klein. Unser Mädchen war nicht lebensfähig. Wenn sie die Schwangerschaft bis zum Schluss überhaupt überstehen würde, so würde sie unter der Geburt sterben. Ich lag auf der Untersuchungsliege und funktionierte nur noch. Ich konnte nicht mehr klar denken. Der Fruchtwasserpunktion, welche nun gemacht wurde, stimmte ich jetzt doch zu. Als der Arzt mir abschließend im Ultraschall zeigte, dass dem Baby durch die Punktion nichts passiert sei, dachte ich nur noch "Als ob das jetzt noch etwas ausmachen würde."

Ein Aufklärungsgespräch über die jetzigen Möglichkeiten fand statt.

Unter Tränen und mit Wut im Bauch (auf wen oder was kann ich gar nicht genau sagen) fuhren wir nach Hause. Ich fühlte mich so leer und doch rasten entsetzlich viele Gedanken durch meinen Kopf. Mein Großer sah mich später weinend im Wohnzimmer sitzen. Ich brauchte nicht viel sagen, er wusste mit seiner Schwester stimmt etwas nicht. Wir umarmten uns und weinten zusammen bittere Tränen... Nach zwei Tagen rief mich die Sprechstundenhilfe der Praxis an. Die Trisomie 18 bestätigte sich. Ich schluchzte laut auf, die junge Frau am Telefon weinte mit. Schon in weiteren zwei Tagen sollte der Termin beim Humangenetiker stattfinden, welcher nötig ist, wenn man einen Spätabbruch durchführen möchte. Spätabbruch. Schrecklich! Ich war immer gegen Abtreibung...und nun?! Ich fühlte mich furchtbar! Zerrissen. Ich sollte Gott spielen und über Leben und Tod entscheiden. Kann ich das? Will ich das? Muss ich das? Doch wer fragt eigentlich mich, wie ich mich fühle? Zwischen sanften Babytritten und Liebe zu meinem Töchterchen, zwischen Dauerbrechreiz, Trauer, Wut und Schulanfangsvorbereitungen hin- und hergerissen. Die Familienfeier stand in vier Wochen an. Mein dicker Bauch. All die Verwandten und Bekannten, die uns beglückwünschen würden, die fragen würden, wie es uns geht, wie es dem Baby geht. Was soll man da antworten? "Unsere Tochter ist schwer krank und es könnte jeden Tag passieren, dass sie stirbt. Aber nehmt euch erstmal ein Stück von der Schulanfangstorte." ??? Ich fühlte förmlich, wie sich mitleidige oder geschockte Blicke in meinen Bauch bohren würden. Und ich würde lächeln müssen, meinem Sohn zuliebe, denn es wäre ja sein Tag gewesen... Ich konnte das einfach nicht... Ich musste tagsüber für meine Kinder funktionieren und weinte mich nachts in einen unruhigen Schlaf, der mit wirren Träumen geplagt war. Ich stand völlig neben mir. Gefangen in einem absoluten Albtraum. Wir haben letztendlich gemeinsam eine Entscheidung getroffen. Wir wollten die Geburt einleiten lassen. Ich war mit meiner Kraft am Ende und einfach nicht in der Lage diese Schwangerschaft fortzuführen. Ich hatte viel im Internet dazu gelesen und bin so auf Dein Sternenkind gestoßen und schrieb die sternenkinder fotografin für unsere Stadt direkt an. Sie meldete sich schnell zurück, wir trafen uns noch vor der Geburt bei mir daheim. Die Chemie zwischen uns stimmte sofort. Sie beantwortete mir viele ungestellte Fragen, war da, gab mir Halt. Gemeinsam suchten wir ein blaues Einschlagdeckchen mit Sternen für mein Mädchen aus, welches ich in die Klinik mitbringen würde. Bereits eine Woche nach der endgültigen Diagnose begaben mein Mann und ich uns am Montagmorgen ins Krankenhaus zur Geburtseinleitung. Unsere Jungs waren bei den Großeltern untergebracht. Das Einleiten an sich kannte ich von den beiden anderen Geburten schon. Die Medikamente schlugen nachts richtig an, so dass am nächsten Morgen die Fruchtblase platzte. Nach einem anschließenden, völligen Wehenstopp dauerte es noch weitere fünf lange Stunden, bis unsere Tochter Elise still geboren wurde. Das war der 19.07.2016. Die Hebamme wickelte sie liebevoll in ein Tuch und legte sie mir in die Hände. Elise war winzig und unglaublich zart. Gerade mal 18cm lang und nicht mal 200g schwer. Aber alles an ihr war perfekt. Zarte kleine Fingerchen, hauchdünn und zerbrechlich. Winzige Füßchen. Die offene Stelle am Bauch fiel kaum ins Gewicht. Dass sie so schwer krank war, sah man ihr nicht an. Mein Mann rief unsere Fotografin an, die dann kam, als ich im OP zur Kürettage lag. Sie kam dann abends nochmal auf Station, als mein Mann bereits zu Hause bei unseren Söhnen war. Elise wurde uns in einem Körbchen in ihrer Sternen-Einschlagdecke aufs Zimmer gebracht. Wir machten noch ein paar gemeinsame sternenkinder fotos , sprachen nochmal in Ruhe über die Geburt. Dann ließ sie mich allein. Wir sind so dankbar, dass wir auf die sternenkinderfotografie aufmerksam wurden! hatte ich das erste Mal meine Tochter nur für mich. Ich streichelte sie sanft, erzählte ihr von ihren Brüdern, küsste vorsichtig ihre weiche, durchsichtige Haut und entschuldigte mich unter Tränen dafür bei ihr, dass ich ihr die Entscheidung über den Zeitpunkt zu gehen abgenommen hatte. Ich hoffte, dass sie mir das verzieh. Im Zimmer war es inzwischen dunkel und nur der hellleuchtende Vollmond beobachtete uns durch´s Fenster. Nun kehrte das erste Mal seit Monaten Ruhe in mir ein. In dieser Nacht schlief ich tief und völlig ruhig.

Die Erde drehte sich einfach weiter, das Leben nahm keine Rücksicht auf Schicksalsschläge. Mein Mann blieb stark für uns. Arbeit, Haushalt, Kinderbetreuung. Ich sah ihn nicht ein einziges Mal weinen. Ich hingegen wurde oft von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt. Doch zwischen all den Tränen gab es auch Grund zu lachen, wenn die Kinder etwas witziges gesagt oder getan haben. Und es gab Liebe. Das Band zwischen uns allen wurde enger. Gedanken und Gefühle blieben zwar stumm, aber in der Nähe zwischen mir und meinem Mann lagen unausgesprochener Trost und Zuversicht. Die Tage kamen und gingen, die Einschulungsfeier fand trotz allem voller Freude und Aufregung für alle statt, ein wenig später zogen wir in eine größere Wohnung. Neuanfang. Und nur gute zwei Monate nach Elises Geburt hielt ich zum dritten Mal in diesem Jahr einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand. Zwei dicke rosa Striche. "Elise schickt uns eine Schwester" war mein erster Gedanke. Und so sollte es sein.

Von Anfang an hatte ich ein gutes Gefühl. Fast unbeschwert konnte ich mich - konnten wir uns - auf unser Regenbogenbaby freuen. Der Kontakt zu unserer sternenkinder fotografin blieb während der ganzen Zeit bestehen, so dass ich sie fragte, ob sie schon mal eine Geburt fotografiert hätte. Und so kam es, dass sie nicht nur die ersten und letzten sternenkinder fotos unserer Elise gemacht hat, sondern auch die ersten Bilder unserer wundervollen Tochter hier auf Erden. Wir sind nun komplett. Zu fünft. Mit Elise im Herzen. Unsere Räubertochter feiert nächste Woche schon ihren zweiten Geburtstag. Und immer wenn ich mein Mädchen ansehe, sehe ich auch einen Teil von Elise in ihr. Das lässt mich an das Leben glauben, den ewigen Kreis und an die Liebe. Und dass man die Hoffnung nie verlieren darf.
Und immer wenn ich den großen runden Mond am Himmel leuchten sehe, erinnere ich mich an die Nacht in der Klinik und frage mich, ob der gute alte Mond wohl damals schon gewusst hat, dass sich der Kreis so schließen wird.

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