Es war Sonntag, der 3. Advent. Gegen 10 Uhr klingelten mich die sanften Töne meiner Alarm-App aus dem Bett. So friedlich und leise wie ein Sternenkind diese Welt verlässt, möchte ich auch alarmiert werden. Ich schaue auf mein Handy. Das Krankenhaus ist nur 30 Autominuten entfernt. Ich akzeptiere und melde mich sofort im Forum um Bescheid zu geben, dass ich den Einsatz übernehmen kann. Innerhalb von wenigen Minuten hatte sich bereits eine Kollegin gefunden, die den Einsatz übernimmt.
Vier Stunden später ein neuer Alarm. Das gleiche Krankenhaus – jedoch Zwillings-Sternchen – sie heißen Vincent und Leopold, wie ich später erfahre. Ich übernehme den Einsatz. Es wird mein Erster sein. Sogleich rufe ich den Papa an kläre alle wichtigen Details. Die Mama möchte gerne dabei sein wenn die Fotos gemacht werden. Der Papa überlegt noch, wird aber auf jeden Fall mit zum Krankenhaus kommen. Ich telefoniere mit dem Krankenhaus, organisiere das Auto, packe meine Kameratasche und drucke den Fotovertrag aus. Dann geht es auch schon los.
Vor fast 30 Jahren wurde ich selbst in diesem Krankenhaus geboren. Zwei Monate zu früh und ich bin mir sicher, dass ich meinen Eltern einige schlaflose Nächte bereitet habe, bis es die Entwarnung gab das ich es schaffen würde. Und nun bin ich auf dem Weg in genau dieses - mein Krankenhaus um zwei tapfere kleine Sternenkinder zu fotografieren die leider nicht so viel Glück hatten wie ich damals.
Die Autofahrt verbringe ich damit, meine Gedanken zu sortieren. Ich überlege, wie es wohl sein wird. Wie ich den Eltern begegne, wie es ihnen geht und wie ich den Einsatz verkraften werde. Es beruhigt mich, dass ich den Eltern mit meinen Bildern eine bleibende Erinnerung schenken werde, eine Erinnerung die ihnen niemand auf dieser Welt mehr nehmen kann.
Bevor die Eltern eintreffen, spreche ich kurz mit der zuständigen Schwester. Sie erzählt mir, dass gestern ohne Vorwarnung bei der Mama die Wehen eingetreten sind und es deshalb leider keine Chance für die zwei gab, es wäre einfach noch zu früh gewesen. Es war erst die 22. Schwangerschaftswoche. Als ich Vincent & Leopold das erste Mal sehe, liegen sie liebevoll aneinander gekuschelt, in eine kleine Umschlag-Decke gewickelt und in ein Schiffchen gebettet. Sie sehen einfach nur perfekt aus und ich muss ein paar Sekunden inne halten, bevor ich ein paar erste Bilder mache um das Licht zu prüfen und meine Kamera einzustellen. Ich habe noch nie verstanden, warum diese kleinen Geschöpfe keine Chance auf ein Leben bekommen.
Kurze Zeit später, sind auch die Eltern eingetroffen und betreten den Raum. Ich versuche stark zu bleiben. Der Moment, als sie ihre Jungs zum ersten Mal sehen ist von unendlicher Traurigkeit umgeben. Ich glaube, dass niemand so ganz verstehen kann warum es gestern so kommen musste.
Ich halte mich etwas im Hintergrund und lasse den Eltern diese ersten Minuten für sich alleine. Ich frage mich, was ich sagen oder tun könnte, um ihnen etwas Schmerz zu nehmen... In solchen Situationen wird es wahrscheinlich nie die richtigen Worte geben. Ich fasse den Entschluss, dass ich einfach hier sein möchte, um mit meiner Anwesenheit ein wenig Trost zu spenden. Ich fotografiere die Trauer, den gegenseitigen Halt und halte Momente fest in denen sie ihre Kinder streicheln oder auf dem Arm halten. Ich erzwinge nichts, sondern lasse den Eltern diese Momente mit ihren beiden tapferen Kämpfern. Im Vorfeld habe ich bereits ein paar Detailbilder der Beiden gemacht, so dass es nun nur noch um die Eltern und ihre Sternchen geht.
Ich freue mich sehr, dass der Papa sich dafür entschieden hat bei diesen wichtigen Momenten dabei zu sein. Ich habe in vielen Einsatzberichten gelesen, wie wertvoll es ist, die ganze Familie miteinzubeziehen. Geschwisterkinder, Mama, Papa, Oma’s & Opa’s.
Die Eltern haben sich verabschiedet und ihre Jungs liebevoll zurück in das Schiffchen gelegt. Wir verabschieden uns auch und klären noch die Formalitäten. Nachdem die Eltern gegangen sind, mache ich nochmal ein paar weitere Aufnahmen von Vincent und Leopold. Als ich alle Fotos gemacht habe, rufe ich die Schwester auf ihrer Station an und sie kommt in den Totenraum des Krankenhauses. Ich treffe sie im Treppenhaus und wir unterhalten uns noch kurz. Sie ist sehr froh, dass es uns gibt. Ich bedanke mich, dass sie die Eltern über Dein- Sternenkind informiert hat und verabschiede mich.
An der frischen Luft fällt alle Anspannung von mir ab und es kullern ein paar Tränen über mein Gesicht. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um mich bei DSK anzumelden. Fast ein Jahr hat es gedauert, bis MEIN Einsatz anstand. Und jetzt? Ich frage mich, warum ich solange gezögert habe mich anzumelden. Könnte ich etwas ändern, würde ich keine zwei Jahre mehr warten. Diese Erfahrung hat mich stärker und reifer gemacht. Ich bin über mich hinausgewachsen. Und ich weiß sofort, dass dies nicht mein letzter Einsatz war.
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