Es ist nun schon über ein Jahr her, dass ich den kleinen wunderbaren Jungen und seine Eltern auf dem Weg zu seinem Stern begleiten durfte. Mein erster alleiniger Einsatz und für mich persönlich wohl auch der wichtigste. Dieser kleine Junge und seine Eltern haben mir gezeigt, wie wichtig diese Arbeit ist, warum wir diese Arbeit immer wieder machen und warum wir immer wieder neue Fotografen brauchen, die DSK und vor allem die Eltern und diese kleinen besonderen Wesen begleiten.
Die Eltern dieses kleinen Jungen hatten sich entschieden ihn nach seiner Geburt nicht zu sehen. Der Schmerz zu Groß, die Angst und Verzweiflung zu sehr präsent. Und gerade darum glaube ich sind unsere Fotos in diesen Extremsituationen besonders wichtig. Die Eltern haben nun immer wieder die Möglichkeit ihren kleinen Schmetterling zu betrachten und haben Bilder, die Erinnerungen nicht verblassen lassen. Wir haben heute noch Kontakt und ich kann nicht beschreiben warum, aber es gibt irgendwie eine besondere Verbindung.
Der 04.05.2016 unser Hochzeitstag. Ich sitze mit den Kindern im Kinderzimmer und spiele. Auf einmal geht der DSK Alarm. Ein Link zum Forum ist drin. Ich logge mich ein. Lese von einem kleinen Jungen (39te SSW) und seinen Eltern. Ich bin bereit. Ich habe Zeit. Bereits beim ersten Kontakt werde ich mit Dankbarkeit überhäuft. Sie hatten nicht geglaubt, dass es so automatisch läuft und sich nach Uwe nochmal jemand meldet. Wir vereinbaren dass ich in Bereitschaft bin und sie mich jederzeit anrufen können.
Der Donnerstag verging und sie meldeten sich nicht. Morgens schrieb ich ihnen, dass ich abends nicht kann, aber dass ich ein Back Up habe und sie mich trotzdem informieren sollen und ich das ganze mit Becci kläre.
Es kommt anders.16 Uhr mein Mann kommt schon früher von der Arbeit. Ich schreibe Becci, dass ich nun wieder übernehmen kann. Der Papa des kleinen Jungen hatte mich gegen Mittag informiert, dass es wohl doch ein Kaiserschnitt werden wird.
Kurz vor 17 Uhr der Anruf. Die Mama selbst ruft mich an. F. ist da. Sie wollen ihn aber nicht sehen. Haben nur Fotos von der Hebamme, aber sein Kopf ist so verschoben, da er so lange im Geburtskanal fest gesteckt hat. Ob ich eine Mütze habe. Ja klar. Ich bringe was mit. Ich frage, warum der kleine Mann überhaupt ein Engel geworden ist. Die Mama erzählt mir kurz mit zittriger Stimme, dass er einen echten Knoten in der Nabelschnur und eine NSU am Hals (NS 3 mal im den Hals gewickelt) gehabt hat. Unglaublich traurig, wenn man bedenkt, dass er mit 54cm und 3290 Gramm in der 39ten Woche, quasi „fertig“ war.
Ich sag ihr, dass ich gegen 6 da bin. Von Becci bekomme ich noch ein paar Infos vorab. Und bin dankbar dafür. Danke auch nochmal an dieser Stelle.
Ich betrete das Krankenhaus und frage wo ich das Zimmer XXX finde. Eine nette Schwester schickt mich in die dritte Etage. Ein langer Gang, ein letztes Sammeln. Da ist das Zimmer. Ich klopfe und gehe rein.
Ich stelle mich vor als ihre Fotografin und wir sprechen kurz über F. Wir sprechen über den Vertrag und unterzeichnen ihn. Ich gehe alleine zum Kreisaal. Eine junge Hebamme macht mir auf und begleitet mich zu einem Raum. Dort liegt der kleine Schmetterling zugedeckt in einem Babybay. Ein perfektes Baby. Ein Engel. Ein zuckersüßer kleiner Junge. Wir gehen gemeinsam in einen Kreissaal. Ich lasse mir das Kreisbett erklären und mache es mir fertig. Während dessen zieht die leicht überforderte Hebamme dem Kleinen die Mütze an. Überrascht war sie, warum ich das nicht mache. Ich bin derweilen erstaunt, dass sein Kopf doch ganz normal ausschaut. Und frage mich, wie „schlimm“ das Foto der Hebamme ausgehen haben muss. Oft hören wir von den Geschichten, dass Eltern durch Bilder der Hebammen „Angst“ haben. Ich erfahre aber später, dass hier nicht das Bild „schuld“ ist.
Ich lasse sie den kleinen Engel auf das Kreisbett legen und gebe ihr immer wieder Anweisungen, wie sie den Kleinen bitte hinlegt. Schlussendlich ist das aber doch leicht mühsam und ich mache das mit F. alleine. Er hatte leider schon einige offene Stellen am Körper, da er ja bereits seit mindestens Dienstag tot war. Ich versuchte das
Ganze aber mit der Lage des kleinen Mannes zu umspielen. Nach gut einer Stunde sind alle Aufnahmen im Kasten. Die Hebamme ist dankbar. Ich spreche mit ihr noch ein wenig über DSK und sie sind erstaunt, dass es so etwas gibt. Ich hinterlasse meine Kontaktdaten und lasse mir die Kontaktdaten der leitenden Ärztin geben, damit wir ihr Flyer zukommen lassen können. Es kommen noch zwei Hebammen, die sehr dankbar sind und es klasse finden, dass es Menschen wie UNS gibt.
Bis hier her war es für mich keine schwere Aufgabe. Ich war gefasst. Erstaunlich stark. Und doch irgendwie dankbar, dass ich diesen kleinen perfekten Jungen auf seinem viel zu kurzen Weg begleiten und ihn kennenlernen durfte. Dann ging ich wieder zu den Eltern. Sie wollten eigentlich keine Bilder sehen, aber verabschieden muss ich mich ja.
Ich Klopfe. Gehe rein. Das Zimmer ist voll. Bestimmt 10 Personen. Alles ist ruhig als ich rein komme. Der Papa fragt, ob er doch Bilder sehen könne. Ich zeige
sie ihm. Er weint. Er winkt zwei weitere Angehörige zu sich. Sie weinen und sagen wie wunderschön der kleine F. getroffen ist. Der Mama zeige ich die Bilder auch noch. Auch hier brechen alle Dämme. Sie sagt immer wieder, wie dankbar sie ist. Und jetzt muss auch ich ein paar Tränchen verdrücken. Ich weiß, dass das nicht sein sollte, aber mein
Mitgefühl ging an der Stelle mit mir durch. Zu grausam in dem Moment die Tatsache, dass der kleine Mann „fertig“ war. Aber es gab eine andere Aufgabe für ihn.
Ich packe die Kamera ein und verabschiede mich. Der Papa steht auf. Fällt mir in die Arme. Gefühlte Stunden. Er sagt immer wieder wie dankbar sie sind. Ich sage ihm nochmal, dass sie mich jederzeit anrufen können, wenn sie sich entscheiden den Kleinen doch einmal zu sehen.
Ich gehe und schließe die Türe. Ich bin noch einen Gang lang traurig, aber auch direkt voller Liebe und Glückseligkeit. Ich weiß, dass ich die Tatsache nicht ändern kann, aber ich kann den Eltern ein kleines Stück ihres weiten Weges erleichtern.
Ich bin dankbar, dass ich F. getroffen habe. Ein kleiner Junge, der viel zu früh auf die Wolken gezogen ist. Aber er wird seiner Schwester und seinen Eltern ein wunderbarer Schutzengel sein.
Kurz darauf bringe ich die Bilder mit einer kleinen Schachtel zu den Eltern nach Hause. Wir schauen Sie gemeinsam an. Einen kleinen Schmetterling habe ich in die Box gelegt. Und irgendwie fügt es sich, denn sie glauben, dass F. nun ein kleiner Schmetterling ist. Wir erzählen noch ein wenig darüber wie unbefangen die große Schwester mit dem Tod umgeht.
Einige Monate später erfahre ich dann auch noch, warum sich die Eltern dazu entschieden haben, den Kleinen nach der Geburt nicht zu sehen. Es ist der Abstand. Das Fiktive. Sie wissen er ist da anhand meiner Bilder, aber die Mama ist davon überzeugt (und das ist das Wichtigste), dass es so „einfacher“ war. Der kleine Junge hat eine andere Aufgabe bekommen. Seine Eltern sind davon überzeugt, irgendwann auf einer Terasse im Schaukelstuhl zu sitzen und zu wissen, was diese Aufgabe war. Ich wünsche es Euch.
Wir sollten keinen Weg bewerten, verurteilen oder versuchen, den Eltern etwas vorzuschreiben. Nicht wir als Fotografen, keine Angehörigen und auch keine Ärzte oder Hebammen. Diese Ausnahmesituationen sind immer und immer wieder sehr individuell,genau wie die Art damit um zu gehen. Aber gerade in dieser Situation, sind die Bilder besonders wichtig. Bilder schaffen Erinnerungen. Vielleicht schmerzvolle, aber (irgendwann) auch dankbare und liebevolle Erinnerungen.
Danke an euch beide J. und J. und Danke F., dass ich dich begleiten durfte.
Die Eltern von F. schrieben mir einige Zeit nach meinem Einsatz eine persönliche Karte mit ein paar Kleinigkeiten zum Dank. Wir sollten niemals mit irgendetwas rechnen, aber dennoch hat die Karte mir einige Tränen in die Augen gezaubert, da ich danach genau wusste, was ich wunderbares getan hatte.
"Liebe Mareike,
nun sind schon einige Wochen vergangen und wir wollten uns noch einmal von Herzen bei dir bedanken.
Dafür, dass du diese schönen Aufnahmen von unserem Sternchen gemacht hast und uns so eine Erinnerung für unser ganzes Leben geschenkt hast.
Danke für deine unfassbar wertvolle Arbeit!
Du bist fest in unseren Herzen.
J. und J. "
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