Marie und ihre Eselbrüder

Marie und ihre Eselbrüder

Unsere Geschichte ist schon etwas her aber in letzter Zeit muss ich wieder sehr oft an unsere kleine Maus denken und vielleicht hilft es mir ja unsere Geschichte aufzuschreiben.

Das Drama begann am 27.07.2018. Es war ein schöner Sommertag und ich in der 21. SSW. Bis zu diesem Zeitpunkt verlief meine Schwangerschaft völlig problemlos. An diesem Tag hatte ich mittags einen Termin bei meinem Gynäkologen. Mein Freund und ich freuten uns schon sehr, denn wir sollten endlich erfahren, ob unser Wurm ein Junge oder Mädchen wird. Im Wartezimmer beschlossen wir danach noch gemeinsam was Essen zu gehen. Wir wollten endlich unsere Namenslisten austauschen. Doch es kam alles anders…

An diesem schönen Sommertag wurde uns der Boden unter den Füßen weggerissen. Beim Ultraschall blieb mein Gynäkologe untypisch ruhig, er wirkte sehr angespannt. Dann sagte er: „Ich sehe einige Auffälligkeiten.“ Er erklärte uns, dass unser Baby Wassereinlagerungen im Kopf und Bauch hat, dass er ein Klumpfüßchen auf jeden Fall sieht und vermutet, dass das andere Füßchen auch betroffen ist. Bei den Händen war er sich nicht sicher. Er erklärte uns, dass er mit seinem Ultraschallgerät nicht alles genau sehen könne und wir in jedem Fall noch zu einem Pränataldiagnostiker müssen, um abzuklären, was mit unserem Baby ist. Als mein Freund fragte, ob es auch sein könnte, dass der Pränataldiagnostiker dann feststellt, dass vielleicht doch alles gut ist bei unserem Baby, sagte der Arzt „Die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Baby gesund ist, liegt bei 0 %.“

Ob es ein Junge oder Mädchen wird, konnte er nicht sicher sagen.

Wir waren am Boden zerstört und hatten Angst um unser Baby. Ab dem Zeitpunkt saß „Esel“, ein kleiner Stoff-Esel immer auf meinem Bauch und passte auf mich und unser Baby auf. Auf einem seiner Hufen stand „Nobody is perfect“.

Der Arzt in der Pränatalpraxis konnte die Beobachtungen von meinem Gynäkologen leider nur bestätigen. Im Kopf und in der Lunge gab es Wassereinlagerungen. Unser Baby konnte nicht Schlucken und beide Arme und Beine waren fehlgebildet. Zudem bewegte es sich nicht. Welche Krankheit unser Baby genau hatte, konnte der Arzt zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht sagen. Dafür mussten noch genetische Untersuchungen gemacht werden, auf deren Ergebnisse wir noch einige Wochen warten mussten. Nachdem mir Fruchtwasser entnommen wurde, wussten wir am Folgetag aber endlich, dass es ein Mädchen wird. Nun ging die Warterei los und das hoffen, dass es vielleicht doch gar nicht so schlimm ist. Mein Bauch war mittlerweile auch gut sichtbar und ich hoffte jedes Mal im Hausflur, dass ich keinem Nachbarn begegne. Schwangere lösen in den meisten Menschen ja so eine Freude aus und sie stellen freundliche fragen. Aber unser Baby war doch so krank. Nicht gerade der perfekte Baby-Small-Talk.

In der Zeit, in der wir auf das Ergebnis der genetischen Untersuchung warteten spielte ich unserer Maus immer Cat Stevens vor. Ich hoffte so sehr, dass sie es hört und sich vielleicht endlich bewegt und den Ärzten zeigt, dass es vielleicht doch alles nicht so schlimm ist. Leider lag sie in sämtlichen Ultraschall-Untersuchungen immer gleich und natürlich bildete sich auch das Wasser in ihrem Körper nicht zurück (man hofft ja immer auf ein Wunder). Im Gegenteil. Durch das Wasser konnte sich ihre Lunge nicht richtig entwickeln. Der Arzt erklärte uns, dass selbst, wenn sie die komplette Schwangerschaft überleben würde, sie beatmet und künstlich ernährt werden müsste und sich nicht bewegen könnte. Inwieweit ihr Gehirn betroffen ist, konnte er nicht genau sagen. Aber er schätzte ihre Überlebenschancen sehr gering ein.

Und da war dann diese Frage, die wir die ganzen Wochen versucht hatten vor uns herzuschieben: „Wollen wir so ein Leben für unsere kleine Maus?“ In der 26. SSW bekamen wir das Ergebnis der genetischen Untersuchung. Unsere Maus hatte eine sehr seltene neuromuskuläre Erkrankung (FADS), in der die Nerven die Muskeln nicht ansteuern können. Die Einschätzungen vom Arzt zu den Lebenserwartungen bestätigten sich damit. Es war ein schleichender Prozess aber am Ende entschieden wir uns schweren Herzens in der 27. SSW für einen medizinisch induzierten Schwangerschaftsabbruch.

Wir wollten unserer Maus etwas mitgeben, aber Esel wäre größer gewesen als sie. Also besorgten wir den gleichen Esel in klein.

An dem Abend als unsere Marie still geboren wurde, war es tatsächlich sehr still im Kreißsaal. Keine andere Geburt war zu dem Zeitpunkt. Ich hatte eine tolle Hebamme. Sie hat mir die Angst vor der Geburt genommen und war so liebevoll mit Marie. In Maries Geburtskarte schrieb sie:

„Am 06.September 2018 um 22:54 Uhr wurdest du, Marie, in der 27. SSW geboren. Du warst 23 cm groß und hast 1030 g gewogen. Auf deinem Weg begleiteten dich deine lieben Eltern, deine Großeltern und deine beiden Eselbrüder.“

Marie war so winzig und trotz der ganzen Fehlbildungen für uns perfekt. So ein hübsches Gesicht.

Der Abschied war sehr traurig und schwer aber Dank unseres tollen sternenkinder fotograf auch gleichzeitig so liebevoll und wunderschön. Ich bin so froh, dass wir vorher durch Zufall auf die sternenkind fotografie von Dein Sternenkind aufmerksam wurden und nun solche schönen Erinnerungen von unserer Marie haben. Es ist wirklich eine wertvolle Arbeit, die ihr da macht und ich wünsche mir so sehr, dass unsere Gesellschaft dadurch lernt vielleicht etwas offener mit dem Tod umzugehen. Ich habe nämlich oft das Gefühl, dass es sich nicht gehört, über tote Babys zu sprechen. Aber manchmal hilft reden. Mir jetzt gerade zum Beispiel.

Auf Maries Beerdigung lief „How can I tell you“ von Cat Stevens.

„Wherever I am girl
I'm always walking with you
I'm always walking with you
But I look and you're not there“

Wir werden dich niemals vergessen!

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