Milan Jayden, ein wunderschönes Sternchen!
Lange habe ich gebraucht, bis ich mich als ehrenamtliche Fotografin bei Dein-Sternenkind beworben habe. Als ich davon erfahren hatte, war ich mit meinem zweiten Sohn schwanger. Es war kein guter Zeitpunkt. Nach drei Jahre war es soweit. Ich bewarb mich und wurde aufgenommen, nach zwei Wochen hatte ich meinen ersten Einsatz.
Milan Jayden. Er verstarb unerwartet und ohne Vorwarnung bereits im Mutterleib. Für seine ganze Familie war das ein Schock. Alle haben sich schon auf Ihn gefreut!!!
Alle-seine Mama, Papa, der große Bruder Ben, seine Oma, seine Tanten und der Rest des Clans. Das Kinderzimmer war schon längst liebevoll hergerichtet. ...
Als Erstkontakt habe ich telefonisch mit der angegebene Ansprechpartnerin Oma (Manuela) gesprochen, sie war sehr aufgelöst.
Wir verblieben, dass Manuela sich bei mir melden sollte, wenn die Einleitung gelaufen ist und „es soweit“ ist. So nannte die Oma die „Geburt“ von ihrem zweiten Enkel.
Ich unterdrückte meine Tränen am Telefon.
Am Einleitungstag von Jenni schriebe ich Manuela kurz vor dem geplanten Termin im Krankenhaus, um zu sagen, dass ich an Sie denke. Mit dem Satzbeginn. „Guten Morgen“
Manuela schrieb zurück. „Gut ist er ja leider nicht. Ich konnte es nicht schreiben. Sorry.“
Als ich das las, schlug ich die Hand auf der Stirn. Wie dämlich von mir!
Ich hätte am liebsten den Einsatz nach diesem Spruch von mir abgegeben. Es waren ja genug DSK-Fotografen da, die als Backup bereitstanden!
Außerdem waren meine Jungs nicht in der Kita, da sie ein Tag vorher noch kränklich waren. Aber sie waren schon auf dem Weg der Besserung. Trotzdem ist das doch die super Begründung, um den Fall für mich zu beenden. Schließlich kann es ja jeder Zeit „losgehen“ und ich hatte bis dahin keinen Babysitter.
Meine Jungs liefen spielend durch das Wohnzimmer und lachen und toben. Sie rufen „Mama, schau maaal.“ Der Kleine ist auf die Toilette gewesen, er hat die Hose nicht wieder angezogen und lief nackt rum. Ihr Lächeln ist so ansteckend und so zauberhaft. Ich kann nicht genug Fotos von Ihnen haben. Das sind so tollte Momente in meinem Leben. Das dachte ich mir.
Das war es!
Ich kann von meinen Jungs immer wann ich möchte Fotos machen und so viel ich möchte. Aber die Familie von Milan Jayden nicht!
Fest entschlossen rufe ich die Kita an, um zu fragen, ob es möglich wäre, dass ich für eine Projektarbeit, die mir sehr am Herzen liegt, die fast gesunde Jungs kurzfristig vorbei bringen kann für ca. 2-3 Std.
Die nette Erzieherin stimmte zu, das wäre kein Problem. Mir fiele Stein vom Herzen.
Ich werde heute mein erstes Sternchen fotografieren.
Während der Fahrt war ich sehr nervös. Meine Nervosität spüre ich im Krankenhaus nicht mehr, sie war weg. Es kann daran liegen, dass ich seit fast 20 Jahre in der Pflege arbeite und mit Krankenhausstimmung vertraut bin. Ich stellte mich als DSK-Fotografin vor und fragte nach der Familie. Die Krankenschwester war im Stress aber sehr nett und leitet mich weiter zum Kreissaal. Sie fragte persönlich drinnen nach und warnte mich schon, etwas Geduld zu haben. Es sei drin die „Hölle“ los.
Da dachte ich kurz an meiner Wortwahl „Guten Morgen“ und musste spontan schmunzeln.
Ich stellte mich mit dem DSK-Ausweis bei der Hebamme vor, als sie mir die Tür aufmache. Sie schaute sehr skeptisch. Sie ließ mich rein in den Kreissaal auf dem Flur, aber nicht zu Jenni und fragte im Zimmer von Jenni nach, ob ich reindürfe. Ich hörte die Antwort nicht und sah sie auch nicht. Ich konnte nur vermute, dass das Jenni und Familie sein müssen.
Ich stand schon bereit. Da machte die Hebamme die Tür wieder zu. Ich war irritiert.
Die Hebamme ging zu Theke und telefonierte laut. Sie klärte nochmal ab, ob „die Frau” zu der Familien W. rein darf und schaute mich während des Telefonats immer noch skeptisch an. „OK, dann ist ja alles gut.“ Sagte die Hebamme.
Sie legte den Hörer auf und sagte, ich soll bitte noch draußen warten. Dann ging sie in einem ganz anderen Zimmer rein. Da war ich noch verwirrter.
Aber gut, ich habe es so akzeptieren müssen.
Ich musste vor dem Kreissaal fast 40 Minuten warten. Durch die durchsichtige Tür sah ich, wie die Hebamme zwischen den Zimmern hin und her rannte und zwischendurch die Ärzte gerufen hat und ein Operateur kam von draußen hereingerannt.
In das Zimmer von Jenni war aber kein mal irgendein Personal reingegangen.
Ich kannte die Situation hinter der Tür von Jenni nicht, deshalb habe ich mich auch nicht bei Manuela gemeldet und habe brav draußen gewartet.
Als der Arzt wieder aus dem ganz anderen Zimmer kam und wegging, machte mir die Hebamme die Tür auf. „Bitte“ mit ihren weiterhin skeptischen Blicken.
Da waren sie. Jenni noch im Entbindungsstuhl unter Infusion und Monitorüberwachung. David (der Papa) direkt daneben am Fußende, die Tante mit Milan Jayden auf dem Arm und die Oma Manuela. Mir kamen die Tränen, ich habe mich nicht mehr vorgestellt, sondern Jenni direkt umarmt, sie war blass und erschöpft. David gab mir die Hand, er hatte einen hochroten Kopf. Die Tante und die Oma sahen auch sehr mitgenommen aus. Milan Jayden begrüße ich mit den Worten. „Hallo, Jayden“. Er war wunderschön, lag da friedlich in den Armen von seiner Tante eingewickelt in einem Handtuch.
Das erinnert mich an meinen Jungs als Baby und an „meine“ Babys, die ich fotografiert habe, so sah er aus, friedlich schlafend und unglaublich schön!
Ich merkte, wie mir die Tränen wieder hochkamen. Schnell schaute ich mich um mit meinem Fotografenblick nach Möglichkeit und Licht zum Fotos machen, und besprach mit Jenni und David, was ich genau vorhabe und was sie sich evtl. wünschten. Ich legte eine Hintergrund-Decke für Jayden, machte Lichttest. Dann klopfte es an der Tür, die Ärztin kam rein und wollte Jenni untersuchen, da sie viel Blut verloren hatte. Ich ging von alleine schon raus und wartete erneut vor dem Kreissaal.
Als ich wieder reindurfte, war die Stimmung unverändert. Das Zimmer wurde langsam dunkel. Ich fragte, ob ich Milan Jayden auf den Arm nehmen möchte und ob die Tante mir etwas behilflich sein möchte/könnte beim „Positionieren“. Die Tante war so vorsichtig, sie hatte schon fast Angst Milan Jayden zu verletzen. So ein kleines, zierliches Wesen.
Ich legte Milan Jayden auf den Rücken, er war noch warm, die Haut fühlte sich zart und weich an. unter Licht und sah ich Blutflecken im Gesicht und im Mund, nach Rücksprache und nachdem ich endlich Waschlappen organisieren konnte, tupfte ich vorsichtig die Flecken aus seinem Gesicht. Dann legte ich Milan Jayden auf die vorbereitete Decke. Ich fotografierte ihn in zwei unterschiedliche Positionen. Von der Näherin Lena von Sternchenzauber und Frühchenwunder waren die Erinnerungstropfen-Kisschen, die habe ich mit einbezogen. Das sieht wunderschön aus. Immer wieder hörte ich hinter mir, wie die Eltern, Oma und Tante weinen. Ich drehte mich um, wollte schauen und nachfragen ob „alles OK ist“.
Als ich sah, dass alle Ihren Engel, das ich gerade friedlich hingelegt habe, einfach nur liebevoll anschauten und dabei weinten, fehlten mir die Worte. Ich hielt meine Kamera noch fester, als wäre das mein Schutzschild, welches mich vor diesem emotionalen Vulkan und vor der Trauer schützt.
Ich schwieg, drehte mich zu Jayden und fotografierte ihn weiter. Ich war nicht nervös, nicht aufgeregt, nicht traurig. Ich war konzentriert und wusste genau, was ich tat. Ich strich Milan Jayden über das Gesicht und zwischen den Augenbrauen, das mache ich auch immer bei meinen Shootings von Neugeborenen und sprach mit ihm, wie zu einem gesunden Baby. Immer, wenn ich das gemacht habe, wurde das Weinen hinter mir lauter, vor allem, als ich Milan Jayden auf Mamas Arm gelegt hatte, um ein „Familienfoto“ zu machen. Jenni war weiterhin blass und erschöpft, David hatte einen hochroten Kopf. Ich hatte das Gefühl, er würde am liebsten weglaufen. Doch er blieb stark und hielt die Hand von Jenni. Ich wurde als Portraitfotografin plötzlich unsicher. Normalerweise sage ich den frischgebackenen Eltern beim shooten: „Schaut Euch an, flirte mit einander und genießt das Ergebnis Eurer Liebe.“ Das ist fast mein Standard-Spruch bei Familienfoto. Meistens habe ich damit Erfolg.
Natürlich kann ich das jetzt nicht bringen. Und wieder musste ich an der Konversation mit dem „Guten Morgen“ denken. Und ich wurde innerlich noch unsicherer.
Ich atmete bewusst ein und aus, um mich wieder zu sammeln und beobachtete, wie Jenni und David das Baby anschauen.
Das war die Lösung! Es gibt nicht zu überlegen, ich schwieg weiter.
Denn es ist kein Shooting, es ist ein Abschied! Es ist so, wie es ist!
Ich nahm mein „Schutzschild“ und fotografierte – bewusster denn je!
Nach keiner halben Stunde war es gut.
Die Familie hatte zwischendurch viele Fragen an mich bzgl. des „Zustands“ von Milan. Ob die körperliche Veränderung denn so „normal“ sei. Sie wollten viel wissen, sie hatten sehr viel Informationsbedarf. Da ich als Krankenschwester Hospizerfahrung habe, konnte ich sie sowohl emotional und auch fachlich „auffangen“. Ich merkte, wie gut ihnen das tat – na ja, den Umständen entsprechend.
Die Oma und die Tante verabschiedeten sich.
Ich musste nur noch den Fotografenvertrag ausfüllen zum Unterschreiben. Da kam die Hebamme rein, um mit Jenni zu sprechen, sie sprach unter anderem von einem großen Bruder. Mir wurde kalt, ich hatte diese Information nicht, dass es einen Bruder gibt. Ich bekam mit, dass die Eltern es möchten, dass der große Bruder Ben seinen kleinen Bruder kennenlernt. Als sie rausging, fragte ich Jenni, ob ich bleiben soll. Jenni sagte, es war eigentlich gewünscht, dass ein Geschwisterfoto auch gemacht wird. Es war wohl nicht anders zu organisieren. Und es würde auch noch länger als eine Stunde dauern, bis Ben abgeholt würde.
Ich bot es Ihr an zu warten. Jenni war sehr gerührt. Ich sagte Ihr, dass ich in der Cafeteria warten würde. Ich ließ sie alleine im Zimmer. Jenni, David und Milan Jayden.
Draußen hatte ich meine Ausrüstung, welche ich nicht mehr brauchte, erst mal ins Auto gebracht. Auf die Windschutzscheibe klebte eine Strafzettel, da ich ohne Parkschein geparkt hatte. Vor lauter Nervosität hatte ich wohl das riesige Parkschild und die Parkuhr, die direkt neben dem Auto standen, übersehen. Ich musste so loslachen und konnte nicht sofort damit aufhören. Das wirkte befreiend- irgendwie befremdlich.
Ich rief noch meinen Lebensgefährten an, um Ihnen kurz zu erzählen, wie es mir geht, das hatte ich ihm versprochen und natürlich sagte er, dass ich ruhig warten soll, er hätte zu Hause alles im Griff. Als ich ihm kurz erzählte, dass Ben genauso alt sei, wie unser dreijähriger Sohn und er gleich seinen kleinen Bruder Milan Jayden zum ersten und letzten Mal sehen wird.
Ich musste losweinen. Die Tränen kullerten mir so raus. Auch das war so befreiend aber anders und es tat so gut! Danke Dir, mein Schatz!
Kurz nach 18 Uhr war es mittlerweile, als Manuela mit den Tanten von Ben und Ben da waren. Der drei jährige Ben war im Auto eingeschlafen und wurde geweckt. Er war dem entsprechend zurückhaltend. Ich grüßte Ben kurz, er musste erst mal wach werden.
Jenni war auf der Station. Die zwei Geschwister von David waren mit Ben ins Patientenzimmer gegangen. Ich ging hinterher, da ich mit der Kamera so unauffällig wie möglich sein wollte.
Die Eltern sahen den großen Bruder und strahlten ihn an. Sie begrüßten Ben liebevoll mit einem Lächeln. Die Geschwister umarmten sich intensiv und weinten leise.
In diesem Moment war ich einfach nur die Beobachterin mit der Kamera in der Hand, ich spürte die unendliche Liebe, die unbeschreibliche Trauer.
Jenni zeigte Ben seinen kleinen Bruder, Ben schaut ihn noch verschlafen an.
Ben interessierte aber vor allem die fremde Frau mit der Kamera, er ließ mich nicht aus den Augen. Er brauchte noch Zeit für sich. Ich ging aus dem Zimmer und wartete vor der Tür.
Vor Jennis Patientenzimmer saßen Manuela und die Tante von den Jungs, sie weinten.
Ich setze mich dazu und klärt sie auf, warum ich die Familie im Zimmer erstmal alleine lasse.
Manuela schaute immer wieder zu den Krankenschwestern die über den Flur liefen. Sie sagte mir, dass sie seit heute Morgen und schon ein paar Mal danach gefragt hat, ob sie weitere organisatorische Information bekommen könnte, da sie das ganze Drumherum den Eltern ersparen möchte. Bis jetzt, mittlerweile nach 19 Uhr, hatte sie keine weiteren Infos noch Broschüre oder sonstiges bekommen.
Ein paar Unklarheiten konnte ich beantworten. Vor allem habe ich ihnen einfach nur zugehört – und das gerne!
Das Personal liefen an uns vorbei, sie kicherten, lachten und unterhielten sich laut, so laut, dass wir uns nicht mehr akustisch verstehen konnten.
Sie sahen, wie verweint die Oma und die Tante vom Sternchen vor der Tür saßen. Und sie lachten und kicherten weiter. Manuela schaute mich irritiert an.
Mir war es irgendwie richtig peinlich, dass das Krankenhauspersonal sich so benommen hatte. Ich schwieg.
Nach ca. 20 Minuten ging ich wieder ins Patientenzimmer. Alle saßen um Milan herum, Mama, Papa, die Tanten und Ben. Jenni lächelte und sagte, dass Ben jetzt Abend gegessen hätte und alles wieder gut sei. Er hatte ein Knoppers in der Hand.
Ich fragte, ob er satt geworden sei, schüchtern lächelte er mich an. Er gab seinen kleinen Bruder seinen Knoppers. Er musste ja auch was essen.
Die Erwachsenen lächelten und freuten sich, dass Ben so ein lieber großer Bruder ist. Und hatten zugleich Tränen in den Augen.
Ich war im Hintergrund und dokumentierte diesen Moment fotografisch.
Nach 10 Minuten verabschiedete ich mich. Es war Zeit für mich zu gehen, damit die Familie unter sich sein konnte.
Als ich zu Hause war, schliefen schon meine Kinder, ich ging ins Schlafzimmer, gab Ihnen noch ein Gute-Nacht-Küsschen. Mein Lebensgefährte machte mir noch eine Tasse Kaffee. Ich spürte eine tiefe Zufriedenheit und war so dankbar!
Am nächsten Morgen, als ich aufwachte, widmete ich meinen ersten Gedanken „meinem“ ersten Sternchen Milan Jayden mit dem Worten „Guten Morgen, kleiner, wunderschöner Stern.“
Ja, es fühlte sich diesmal richtig an guten Morgen zu sagen.
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