​„Jannis, schaut mal, er atmet doch“

​„Jannis, schaut mal, er atmet doch“


„Jannis, schaut mal, er atmet doch“

Dieser Einsatz hat mich noch mehr berührt als sonst und darüber möchte ich gern einen Bericht schreiben. Es war der letzte Tag im Februar, Mark und ich wollten am nächsten Tag für ein langes Wochenende nach Island gehen und ich hatte mir den Tag freigehalten für ein paar Reisevorbereitungen. Der Call kam bereits morgens, ein reifes Kind, gestern im Bauch verstorben, Geburt eingeleitet. Da ich an dem Tag flexibel sein konnte, sprach ich mich kurz mit Mark ab, nahm den Einsatz an und rief den Vater an. Er war zu Hause, im Hintergrund ein kleines Kind, ein, in dem Moment, recht sachliches Gespräch. Er hatte jetzt meine Nummer und wollte mich anrufen, sobald Jannis geboren war. Im Nachhinein erfuhr ich, wie perplex der Vater war. Seine Frau hatte vom Krankenhaus aus DSK alarmiert, die Festnetznummer von zu Hause angegeben und das ihrem Mann mitgeteilt. Keine 10 Minuten nachdem er die Nachricht gelesen hat, rief ein Koordinator an, da war er das erste Mal sprachlos. Weitere 10 Minuten später rief ich an, das hat ihn alles unglaublich beeindruckt und in dem Moment fast ein wenig überfordert.

Ich verbrachte meinen Tag mit Vorbereitungen für die Reise und war nachmittags gerade beim Bügeln, als ein weinender und hilflos wirkender Mann bei mir anrief, der überhaupt nicht mehr gefasst oder sachlich klang. Ich versprach ihm direkt loszufahren und auch, dass ich Zeit mitbringe und auch vor Ort gern warte, falls es noch nicht passen sollte mit dem Fotografieren.

Als ich im Auto saß, ging mir wie jedes Mal durch den Kopf, was mich wohl erwarten würde. Ein Kind, welches "fertig" war, Eltern die bis vor zwei Tagen voller Freude waren, jetzt jäh zerstört. Meine Gedanken kreisten um diesen Einsatz, als mir kurz hinter Mainz ein anderer Gedanke in den Kopf schoss. Verdammt, das Bügeleisen... Scheiße, du hast das Bügeleisen nicht abgesteckt. Oder doch? Ich versuchte zu rekonstruieren, aber jedesmal blieb ich an dem Punkt hängen als mein Handy geklingelt hat und ich quasi fast unmittelbar los bin. Zurückfahren kam nicht in Frage, das hätte mich im Berufsverkehr mindestens eine Stunde gekostet und ich wollte meine Ankunftszeit einhalten. Irgendwo hielt ich an und schrieb Mark eine Nachricht, dass er bitte direkt wenn er nach Hause kommt im Bügelzimmer nach dem Bügeleisen schauen soll. Als ich im Parkhaus des Krankenhauses ankam hatte ich schon eine Antwort: "Lol should I check first to see if the room is still there". Ja, ich liebe diesen englischen Humor! :-D Aber auch wenn das komisch klingt, die Nachricht beruhigte mich und als ich auf dem Weg ins Krankenhaus war, hatte ich das Bügeleisen vergessen und war in Gedanken bei der Familie zu der ich gerade ging.

Kurzes Durchatmen vor der Zimmertür und da war ich schon drin. Die Mama war gerade allein im Zimmer, ich begrüßte sie, stellte mich vor und begrüßte danach direkt Jannis.
Er lag in einem Körbchen auf dem Tisch, was wohl das Sternenkindkörbchen des Krankenhauses ist, aber eigentlich zu klein für ihn war, er wirkte ein bisschen reingequetscht. Ich fragte die Mama ob ich ihn herausnehmen darf, was sie mir gern erlaubte. Da hatte ich ihn zum ersten Mal auf dem Arm und ging mit ihm ans Fenster von dem man einen schönen Blick auf die Stadt hatte. Eine Stadt die er nie kennenlernen sollte. Es war ein eiskalter, sonniger Wintertag, das Licht an diesem Nachmittag wurde schon etwas weicher und ich schaute mir diesen kleinen Junge an. In seinem weißen Teddy-Overal und seinem Mützchen wirkte er wie ein Baby, was man gleich in die Autoschale legt, zudeckt und dann mit nach Hause nimmt. Er war zu der Zeit ungefähr 38 Stunden nicht mehr am Leben, aber abgesehen von ein paar kleinen Läsionen war er eigentlich nicht sehr gezeichnet. Ich sagte ihr, wie wunderschön ihr kleiner Junge ist... Tränen... Sie erzählte mir, dass sie völlig neben sich war, die Hebammen hatten ihr gesagt, man solle erstmal sehen ob man das Kind ihr zeigt und ihn direkt mit einem Tuch abgedeckt nach der Geburt (in welchem Jahrhundert leben wir eigentlich?). Im Kopf der Frau waren Bilder von einem "total schwarzen Baby" und sie war völlig verunsichert, aber hat direkt gesagt sie will ihn sehen. Und dann ein so hübsches und niedliches Kind...

Während ich Jannis ein bisschen auf dem Arm hatte und dann auf eine Kuscheldecke aufs Nachbarbett legte und meine Kamera auspackte erzählte die Mutter mir ihre Geschichte.
Sie hatte bereits zwei Sternchen, eins war wohl lange her, aber eines erst im letzten Jahr in der 17.SSW. Diese jetzige Schwangerschaft war geprägt von vielen Ängsten, aber verlief völlig normal. Sie hatten einen Arzt, der sie wunderbar begleitete, ihre Ängste sehr ernst nahm und sie immer wieder beruhigen konnte. Letzten Freitag sollte der kleine Mann dann per Sectio geholt werden. Allerdings hatte er sich dann doch nochmal gedreht und trotz Bitten der Eltern wurde der Kaiserschnitt nicht gemacht. Am Montag war die Angst und Aufregung derart groß, dass die Mama immer wieder bat, dass "nachgeschaut" wird, am Abend ein CTG, was wohl schon gewisse Auffälligkeiten, aber keine Konsequenz hatte. Die Aufregung, das „schlechte Gefühl“ und die Angst steigerten sich immer mehr, der „Rat“ doch „schlafen zu gehen“ überhaupt nicht umsetzbar. Laut eigenen Angaben wurden sie immer wieder vertröstet und es fiel wohl auch der Satz: "wenn man so eine Angst hat, wieso entscheidet man sich dann für eine erneute Schwangerschaft".

In der Nacht, steigerte sich das nochmal und irgendwann wurde das CTG gemacht, da war Jannis nicht mehr am Leben. Er starb im Bauch seiner Mutter, während sie im Krankenhaus war. Die genaue Ursache ist (noch) nicht bekannt, aber es gab wohl Probleme mit der Nabelschnur. Die Geschichte machte mich sprachlos und die Frage nach dem "Warum" war noch viel präsenter als sonst.

Inzwischen war auch der Papa wieder da und begrüßte mich herzlich. Dieser Schmerz und diese Verzweiflung in seinen Augen haben mich zutiefst gerührt. Es ist für mich immer wieder berührend und beeindruckend wenn "große, starke" Männer so grenzenlos verzweifelt und traurig sind. Sie können nichts tun. Oft wirken ja die Mütter, durch die Hormonausschüttung unmittelbar nach der Geburt, sogar, zumindest zeitweise, noch ein wenig "gefasster", aber bei den Männern ist der Verlust unmittelbar und in voller Wucht vorhanden.

Ich machte ein paar Bilder von dem kleinen Junge und fragte ob ich auch Füßchen und Händchen fotografieren darf und ihn kurz ausziehen durfte. Als ich nach Fußabdrücken fragte, die nächsten Tränen. Nein, hatten sie nicht, die Hebammen im Kreissaal hatten gesagt, das würden sie nicht tun, das wäre ja "eklig" bei einem toten Kind (Zitat). Oh mein Gott... Natürlich mache ich das, sagte ich, ich brauche nur ein Stempelkissen. Inzwischen war auch viel Betrieb im Zimmer, es kamen alle möglichen Leute vom Krankenhaus, es wurden Gespräche geführt über Nachsorge, Bestattung, Obduktion und vielen intimen und privaten Details. Ich frage mehrmals ob ich das Zimmer verlassen soll, aber durfte bleiben. Das finde ich immer wieder beeindruckend wie "nah" einen die Menschen heranlassen... Ein Vertrauen, was mich mit tiefer Dankbarkeit erfüllt.

Eine Schwester kam, die die Familie kannte und ich bat um etwas Hilfe und ein Stempelkissen. Die Mama fragte, ob sie nicht bitte auch zwei Namensbändchen bekommen kann (eins für sich, eins für Jannis), die nette Schwester versprach sich darum zu kümmern. Eine Hebamme brachte dann eins, befestigte es auch an dem kleinen Ärmchen, aber eben nur eins... Und da war auch noch der Name falsch geschrieben... Die Schwester versprach aber auch für die Mutter eins zu besorgen, auch wenn sie es selber auffädeln muss... Auch wenn wohl viele Dinge nicht optimal gelaufen sind in dem Fall, die betreuende Schwester war unheimlich lieb und man merkte auch ihr an, wie nah ihr das alles ging.

Das erste Stempelkissen war untauglich, aber das zweite funktionierte dann irgendwie und zumindest die Füßchen haben wir zur Freude der Eltern

hinbekommen. Ein klein wenig haben wir sogar gelacht weil Jannis jetzt Farbe an den Füßchen hat, ich traute mir nicht es abzuwischen, die Haut löste sich auch an den Beinchen und Füßchen schon.

Als ich Jannis auspackte, und vorsichtig die Arme und Beine aus seinem Kuschelanzug holte, das ging mir sehr nah. Er hatte nur eine Windel und ein Hemdchen drunter, ein komplettes, gesund aussehendes Neugeborenes mit der zarten, leicht durchschimmernden Haut wo man das Bedürfnis hat es zu wärmen.

Ach Jannis, zu Hause warten vier große Geschwister auf dich. Was wärst du geworden? Pilot? Feuerwehrmann, wie dein Papa? Fußballer? Oder hättest du Gedichte geschrieben Klavier gespielt? Auf dich wartet ein Bettchen zu Hause, eine liebevolle Ausstattung, eine Familie, in der du deinen Platz haben solltest. Jetzt liegst du auf der Folie eines leeren Krankenhausbettes auf einer Decke und nichts von dem, was du hättest werden können, wird wahr werden. Dein schöner Name wird nie von deinen Eltern gerufen werden, nie wirst du ein Weihnachten erleben. Es wird bald Frühling, überall erwacht das Leben und deines war vorbei bevor es begonnen hat.

Während ich fotografierte sagte die Mama immer wieder "Schau mal, er atmet". Das kleine Herz was ich dabei hatte und was auf seiner Brust lag schien sich tatsächlich zu bewegen, aber alle im Raum wussten, dass es nicht so war.

Vorsichtig zog ich ihn wieder an und machte noch ein paar Bilder mit den Eltern. Inzwischen waren fast zwei Stunden vergangen, ich habe es nicht gemerkt. Nachdem die Eltern mich gebeten hatten, dass ich bleiben kann, war das auch kein Thema für mich. Sonst versuche ich mich eher "kurz" zu halten um die Zeit mit dem Kind nicht zu "stehlen", aber in dem Fall war es eher positiv. Im Nachhinein erzählte mir der Vater, dass es für sie auch schön war, wie liebevoll ich mit dem Baby umgegangen bin und Jannis behandelt habe, als wäre er ein normales Baby (selbstverständlich eigentlich...) Nachdem ich mich mit einer herzlichen Umarmung von den Eltern verabschiedet hatte, nahm ich Jannis noch ein letztes Mal in den Arm, wiegte ihn ein bisschen hin und her wie man das bei Babys tut und legte ihn vorsichtig in das Körbchen. Gute Reise, kleiner Junge!

Er sollte auch direkt abgeholt werden und in die Pathologie, ein Gedanke, der nur schwer zu ertragen ist. Tränen... Vielleicht noch ein paar Minuten länger? Die Mama sagte „Nein, ich will ihn mitnehmen, mit nach Hause, aber ich will ihn lebend mitnehmen“. Bedrückende Stille im Raum. Ein Satz, der auch mir mitten ins Herz ging. Die Hilflosigkeit, welche man in solchen Momenten

empfindet, ist kaum in Worte zu fassen. Der Zeitpunkt, dass Jannis geholt werden sollte, kam näher, aber diesen Abschied wollte ich wirklich nicht noch "stören" und so fuhr ich nach Hause. Bevor ich in unsere Straße abbog, war ich schon beruhigt keine Blaulichter zu sehen. Das Bügeleisen hatte aber tatsächlich noch am Strom gesteckt. Aber nix passiert. ;-) zu Hause wartete eine dicke Umarmung und ein Abendessen auf mich. Ich kann nicht oft genug sagen, wie dankbar ich bin, dass Mark und ich das beide machen. Es sind jedesmal "unsere" Einsätze, egal wer von uns beiden tatsächlich vor Ort ist und es so schön zu wissen, dass man sich mit dem Partner tabulos darüber austauschen kann.

Nachdem ich die Bilder fertig hatte, bat der Vater mich, dass sie bei uns zu Hause abgeholt werden können. Es war das erste Mal, dass Sterncheneltern bei uns zu Hause waren, aber in diesem Fall war das für uns beide total „richtig“ und völlig ok. Es war auch irgendwie „schön“ noch einmal zu sprechen, über die Zeit im Krankenhaus, über die Beerdigung und die grenzenlose Trauer, welche herrscht. Die Trauer ist riesig, die Beerdigung war in der Woche, der Schmerz noch ganz frisch, aber ich glaube die zwei haben die Kraft um das zu schaffen, gemeinsam mit ihrer Familie. Zwei warmherzige und herzliche Menschen, zwei Menschen, denen man so sehr wünscht, dass dieser Alptraum nicht wahr wäre, zwei Menschen die ich ein ganz kleines Stück begleiten durfte. Und ein Sternchen was auch in meinem Herzen einen besonderen Platz bekommen hat.

Keine 48 Stunden nach dem Einsatz später, stand ich in Island auf dem größten Gletscher Europas außerhalb des Polargebietes, ein Erlebnis was immer wieder beeindruckend ist und wo man ein bisschen seinen "eigenen Platz" im Universum gezeigt bekommt. Bei diesem faszinierenden Anblick, bei dem tiefen Blau des Eises und der Weite und überwältigenden Schönheit musste ich auch an einen kleinen Junge mit der zarten Haut und dem weißen Kuschelanzug denken. Jannis, ich bin so dankbar dich kennengelernt zu haben. Und als dann nachts die Polarlichter über den Himmel tanzten, wünschte ich mir von Herzen, dass er es sehen kann von dem Ort wo er jetzt ist.


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