Ey, das wäre schön blöd nicht an Wunder zu glauben

Ey, das wäre schön blöd nicht an Wunder zu glauben

Emil - Sturkopf, Wunderkind und coolste Socke überhaupt

Mein Name ist Evy. Ich bin 34 Jahre alt und Mama von drei wundervollen Söhnen. Zwei an meiner Hand und ein ganz besonderer Engel bei den Schmetterlingen.

Schon sehr früh standen zwei Sachen für mich fest, nämlich dass ich Mutter sein werde und dass ich definitiv in der Medizin arbeiten möchte. Lachen Sie nicht, aber ganz 90er Kind ist George Clooney daran schuld. Wenn Dr. Doug Ross jeden Nachmittag bei Emergency Room für seine Patienten gekämpft hat, schmolz mein Herz nur so dahin. Ja, ich weiß. Die heutige Jugend würde natürlich sagen: "George wer?". Ich verstehe das. Der Sauerstoffmangel in den Kinderzimmern sorgt natürlich für "Geschmacksverirrungen" à la "Grey's Anatomy". Mit dem Krankenhausalltag kam dann auch die Ernüchterung, dass es eben in deutschen Krankenhäusern keinen Dr. Ross und keinen Dr. Carter gibt. Die Realität zeigt eine andere Seite. Das Wort "Palliativmedizin" ist quasi der Lord-Voldemort unter den Chirurgen. Mehr als einmal habe ich es gewagt Chirurgen nach dem Sinn einer OP zu fragen. Böser Fehler. Machen Sie das bloß nie nach. Ich habe jedenfalls sehr schnell gemerkt, dass ich ein Fan der Palliativmedizin bin. Denn der traurige Alltag zeigt, die Würde des Menschen hört meist am Krankenbett auf. Und das nicht nur, weil vielen Patienten und Angehörigen das Loslassen schwerfällt, sondern auch, weil viel zu wenig Ärzte den Tod als würdevollen Teil des Lebens betrachten. Die vielen Intensivstation-Patienten, die sich quälend in den Tod kämpfen, haben jedenfalls mein absolutes Mitgefühl. Von diesem Punkt erfolgt ein kurzer, aber großer Zeitsprung in das Jetzt zu einem Gespräch mit dem Chefarzt der Kinderklinik eines großen Krankenhauses:

"Wissen Sie. Ich fand es schon immer schrecklich, wenn Patienten qualvoll auf der Intensivstation verstorben sind. Wenn ich das schon immer bei fremden Menschen furchtbar finde - warum soll ich das dann meinem eigenen Kind antun?"

Ja, ich bin mit Leib und Seele gerne Mutter. Es gibt nichts in meinem Leben, dass ich mehr liebe als meine Kinder. Sorry, George Clooney. Mein 10-jähriges Fanherz hat einen neuen Club gefunden. Wahrscheinlich haben meine Eltern den Grundstein dafür gelegt. Mein Papa wollte mich unbedingt Eva nennen. Meine Mama fand den Namen viel zu hart. Als dann die Variante Evelyn fiel, stand mein Name fest. Wobei es seit Geburt immer nur "Evy" hieß. Falls es doch einmal E-V-E-L-Y-N! hieß, blätterte mein inneres Ich sofort im Sündenkatalog, was meine Eltern wohl rausbekommen haben könnten. Als Jugendliche bekam ich eine Karte geschenkt, auf der die Bedeutung meines Namens erklärt war: Die das Leben schenkt. Mein Bruder las es und meinte nur ganz trocken: "An deiner Stelle würde ich unseren Eltern was husten, dass sie dich lebende Gebärmaschine genannt haben." Seit dieser Zeit war immer klar, dass ich definitiv Kinder haben werde. Mein erstes phantastisches Kind kam dann auch kurze Zeit später, als ich 18 Jahre alt war. Ungeplant. Trotzdem abgrundtief geliebt. Genau ein Jahr und zwei Wochen später nachdem mein einer Opa verstorben war. Eine Seele geht, eine Seele kommt. Witzigerweise sind sich die beiden gar nicht so unähnlich im Charakter. Fragen Sie mich nicht, wie ich es mit 18 Jahren geschafft habe, so schnell zu reifen, dass ich für meinen Sohn eine gute Mutter sein konnte. Ich behaupte immer noch, dass es an ein Wunder grenzt, dass er das erste Jahr irgendwie überlebt hat. Da die Schwangerschaft nicht leicht war, alleinerziehend zu sein sowieso nicht, habe ich immer gesagt, dass mein Sohn Einzelkind bleibt. Genau achteinhalb Jahre war dem auch so. Bis mit einem wundervollen neuen Partner und wieder ein Jahr und zwei Wochen nach dem Tod meines anderen Opas, mein zweiter Sohn diese Welt betrat. Mit einem lauten Protest und vom Charakter her meinem zweiten Opa ähnlich. In der Schwangerschaft hatte ich mich immer gefragt, ob ich zwei Kinder genauso lieben kann wie ein Kind. Spoiler-Alarm: Man kann es und man tut es definitiv. Selbst wenn Kind Zwei ein charakterstarker Quadratwidder ist, der scheinbar ohne Schlaf auskommt. Egal, ob man es Liebe nennt oder die Kunst des Verdrängens, meine biologische Uhr meldete sich sechs Jahre später bei mir. Lautstark, nicht zu überhören und leider auch ohne Snooze-Funktion. Vielen Dank auch Mutter Natur! Nach zwei gesunden Kindern denkt der naive mütterliche Verstand natürlich: "Super, Pille absetzen und los gehts. War ja beim Quadratwidder auch so." Tja, die Natur sah das aber diesmal ganz anders und irgendjemand hätte meiner Eizelle sagen sollen, dass ich für solche Späße nicht zu haben bin.....

2020. Anfang des Jahres. Nach einer Fehlgeburt in der sechsten Woche versuche ich mich emotional zu erholen. Ich hatte meinem Körper die Entscheidung überlassen und wollte auf keinen Fall zu irgendwelchen Hilfsmitteln greifen. Ende Februar erwartete ich meine Regelblutung. Aber sie kam nicht. Nach der Fehlgeburt traute ich mich nicht, einen Test zu machen. Tat das aber dann doch. Neugier, auch so eine komische Charaktereigenschaft. Ok. Jetzt bloß nicht zu früh freuen. Also einen Gynäkologen geschnappt und ab zur Blutentnahme. Am nächsten Tag blinkte am PC dann dieser wunderschöne hohe HcG-Wert auf. Mein Herz wusste nicht, ob es vor Freude springen sollte oder die Angst überhandnehmen könnte. Also schnappte mich zwei Tage später eine befreundete Kollegin und der Wert hatte sich verdoppelt. Jackpot! Als dann noch die Übelkeit und Erbrechen anfingen, war mein kleines Herz schon etwas beruhigter. Trotzdem wurde ich erstmal krankgeschrieben, mit der Bitte über ein Beschäftigungsverbot nachzudenken. Also lag ich im Bett und verfluchte jeden Geruch. Nasen braucht kein Mensch. Und mal ehrlich, Lord Voldemort brauchte auch keine Nase. Eines Morgens kam mein kleiner Quadratwidder zum Kuscheln ins Bett. Er legte seinen Kopf auf meinen Bauch. Nach wenigen Augenblicken sprang er aufgeregt auf und erklärte: „Mama, du hast ja ein Baby im Bauch!“ Ok. Wie hat er das gemacht? Verdammt ist der gut. Dies führte zu folgendem Dialog:

„Nee, Mäuschen. Mama ist einfach nur krank.“

„Tut mir leid, Mama. Da muss ich dich enttäuschen. Du hast ein Baby im Bauch.“

„Wirklich. Mama ist einfach nur krank.“

„Oh nein Mama. Da ist ein Baby.“

Daraufhin rannte er aus dem Zimmer und schrie durch das ganze Haus, dass ich ein Baby im Bauch hätte. Manchmal ist es fast unheimlich. Jedenfalls hatte ich es irgendwie geschafft, ihn von dem Gedanken erstmal wieder abzubringen. Die folgenden Wochen waren zwar durch den Lockdown sehr merkwürdig, aber die viele Zeit mit der Familie war einfach nur schön. Bei bestem Frühlingswetter und vielen Geburtstagen. Zu meinem Geburtstag bekam ich dann auch die besten Geschenke überhaupt. Klopapier und Nudeln. Quasi der Goldschatz in Zeiten des Lockdowns. Und: Im Doppler-Ultraschall hörte ich zum ersten Mal den Herzschlag meines Mitbewohners. Ich hatte leichte Tränen in den Augen und freute mich riesig. Es folgten Ostern, der Geburtstag des Quadratwidders und das Ende des dritten Monats. Mein Quadratwidder sah mich an einem Abend an und sagte: "Mama, du bist doch schwanger!" Auf meine Frage wie er denn darauf käme, kam nur ein: "Sonst siehst du nicht so aus." Verdammt, er ist wirklich gut. Eines Nachts wachte ich schweißgebadet auf. Ich hatte geträumt, dass ich Blutungen habe und auf dem Weg ins Krankenhaus wäre. Zwei Tage später war es tatsächlich so. Kurz vor der 12. Woche hatte ich morgens Blut auf dem Klopapier. Was macht Frau in der Situation? In Formel 1-Manier zum Frauenarzt fahren. Ein Wunder, dass mich Mercedes nicht direkt als Pilotin angeheuert hat. Beim Ultraschall schlug Emils Herz fleißig vor sich hin und zum ersten Mal wurde vorsichtig das Wort "Junge" in den Mund genommen. Der Arzt erklärte, dass die Plazenta sehr tief sitzt und es dadurch zu Blutungen kommt. In Ordnung. Das hatte mein Kopf verstanden. Mein Herz natürlich nicht. Und so fuhr ich ständig ins Krankenhaus. Nicht, dass man hätte etwas daran ändern können. Aber das erklären Sie mal dem ängstlichen Mamaherz. Damit ich erstmal zur Ruhe komme, wurde ich am Anfang des vierten Monats stationär aufgenommen. Daraufhin war die Blutung erstmal rückläufig. Das führte zu ein wenig Entspannung. Es war trotzdem irgendwie schräg. Mein Verstand sagte, dass Blutungen und Schwangerschaft nicht zusammenpassen. Mein Unterbewusstsein wusste, dass es dem kleinen Kerl im Bauch gut geht. So war es auch. Bei jedem Ultraschall ging es ihm trotz des Blutverlustes gut. Bei einer Untersuchung fragte mich die Oberärztin, ob sie meinem Baby zwischen die Beine gucken dürfte. Sie wäre so neugierig. Ich erlaubte es. Mein Zwerg war da natürlich anderer Meinung und verschränkte die Beine. Seinen Spitznamen "Sturkopf" hat er definitiv nicht umsonst. Mitte Mai waren dann die Blutungen so stark, dass mir das Blut die Beine herunterlief und das Krankenhaus mein Zweitwohnsitz wurde. Die Zeit im Krankenhaus war unglaublich irreal. Mir wurde erklärt, dass ich bei jeder Blutung dem Personal Bescheid sagen solle. So wurde mein Intimbereich für den Publikumsbereich frei gegeben. Wenn ich Eintritt verlangt hätte, wäre ich jetzt definitiv reich. Man kennt das ja. Kaum saß ich auf dem Klo, lief das Blut. Also, ganz die vorbildliche Patientin, klingelte ich nach dem Personal. Es kam eine Schwesternschülerin, guckte zwischen meine Beine und verschwand wieder. Kurze Zeit später kam eine Schwester, guckte zwischen meine Beine und forderte eine Ärztin an. Also kam dann noch eine Ärztin mit einem PJler und guckte auch zwischen meine Beine. Das Ganze spielte sich an fast jedem Tag ab. Unnötig zu erwähnen, dass die Toilette, mein Intimbereich und meine Beine wie ein Schlachtfeld aussahen. Es war alles voller Blut. Da sitzt man nun. Fühlt sich wie in einem schlechten Film und wartet auf die versteckte Kamera. Es wurde jeden Tag ein Vitalitätsultraschall gemacht, und jeden Tag strampelte Emil fleißig im Ultraschall vor sich hin. Ich dachte nur, solange es meinem Zwerg gut geht, kann ich mit jedem Blutverlust leben. Und dann kam Himmelfahrt. Im Nachhinein fast schon die perfekte Metapher.

An diesem Tag brach meine Welt zum ersten Mal zusammen.

Bei einem Ultraschall wurden Auffälligkeiten festgestellt. Der Magen war nicht richtig darstellbar und im Gehirn wurden Plexuszysten festgestellt. Alles Softmarker für einen Gendefekt. Ich sollte mich entscheiden, ob es überhaupt noch sinnvoll sei zu kämpfen und ein Abbruch nicht sinnvoller wäre. Zack. Boden weg. Es einen Schlag in die Magengrube zu nennen wäre untertrieben. Ich war in der 16. Woche und mein Sohn strampelte fleißig in jedem Ultraschall und bewies trotz massiver Blutungen, dass er bei mir bleiben möchte. Also setzte mein Sturkopf ein (woher Emil bloß seinen Sturkopf hat..) und ich entschied, dass ich meinen Sohn nehme wie er ist. Es wurde alles für einen Schwangerschaftserhalt getan. Auch eine Pränataldiagnostik lehnte ich ab. Letztendlich liegt die Entscheidung nun einmal bei der Frau und ich hätte mit meinem Gewissen keine Interuption vereinbaren können. Die Blutungen hörten auf und auch die Zysten wurden von Ultraschall zu Ultraschall weniger. Hach, ich habe es doch gewusst. Emil und ich hatten halt andere Pläne. Zusammen hatten wir einen echt schönen Sommer. Mit jedem Ultraschall zeigte mein kleiner Sturkopf, dass er sich in meinem Bauch super wohlfühlte und ich platzte vor Stolz. Jeder Wochenwechsel verursachte einen inneren Vorbeimarsch in mir. Während der Blutungen sagte ich jedem, dass wir vor der 28. Woche nicht mal ansatzweise über eine Entbindung nachdenken müssen. Fast jeder Arzt belächelte es etwas und glaubte nicht daran, dass wir es soweit schaffen würden. Manchmal glaube ich, dass Emil schon aus Protest genau das Gegenteil von dem tat, was die Ärzte von ihm erwarteten. Die Zeit verging und wir erreichten die 24. Woche. Emil planschte fleißig weiter. Die ersten CTGs waren dran und ich liebte es seinen Herzschlag zu hören. Die 28. Woche kam. Es war einfach toll. In der 30. Woche hatte ich eine leichte Schmierblutung. Diese ließ ich sofort untersuchen. Im Ultraschall hieß es dann "Oh. Sie haben aber ein zierliches Baby. Und viel zu viel Fruchtwasser." Sofort schossen mir tausend Ängste durch den Kopf. Könnte nicht einmal ein Arzt sagen, dass alles super ist? Mittlerweile hasste ich Ultraschalluntersuchungen wie die Pest. Von Woche zu Woche hinkte Emil immer mehr hinterher. In der 32. Woche wurde Emil offiziell als SGA (zu klein für die Schwangerschaftswoche) eingestuft. Außerdem zeigte sich ein VSD (Loch in der Herzscheidewand) im Herzen. Ich brach in Tränen aus. Ja, mein Opa hatte das auch und ist über 80 Jahre alt geworden. Ich brauchte etwas zur Beruhigung. Trotzdem brach in mir wieder etwas zusammen. Auf Empfehlung unserer Kinderärztin machte ich einen Termin in einer Uniklinik, in der Emil nach der Geburt bestens am Herzen versorgt werden könnte. Mein kleiner Sturkopf war von der Aufregung total unbeeindruckt. Vor dem Termin konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen. Ich wusste instinktiv, dass es ein Tag der Entscheidung sein würde. Und ich hatte tierische Angst davor. Zu Recht wie ich jetzt zugeben muss. Emil trat immer fleißig zu, wenn ich mental fertig war. Und jedes Mal musste ich lächeln. Wer würde das nur machen, wenn mein Sturkopf weitergereist ist.

In der Uniklinik war es dann absolut schrecklich. Eine empathielose Ärztin zählte auf, welche Fehler mein Sohn hätte, und die Summe aller Fehler sprach für Trisomie 18. Da war es. Das, wovor ich panische Angst hatte. Die Ärztin sagte dies, als wenn mein Auto keinen TÜV bekommen hätte. Keine Spur von Mitgefühl. Ich sollte mich sofort entscheiden wie es weitergehen solle. Natürlich ist man in so einem Moment "absolut entscheidungsfreudig". Mein erster Gedanke war, dass er sofort raus muss. Panik stieg auf. Ich atmete tief durch. Bekämpfte die Panik und ließ mir nichts anmerken. Sie wies auf mein vieles Fruchtwasser hin. Das müsse doch Schmerzen verursachen und ich hielte mir ja auch meinen Bauch. Darauf sagte ich, dass ich mein Baby vor ihr beschützen möchte. Weil ich weiterhin auf eine Versorgung von Emil pochte, sollte ich auf den Kinderarzt warten. Da saß ich nun mit meiner Mama und brach in Tränen aus. Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben so viel und stark geweint. Als der Kinderarzt kam, sah ich ihn an und wusste wie bei der Ärztin, dass es zwischen uns nicht passt. Also brach ich alles ab und stürmte nach draußen. Ich rief unter Tränen meinen Mann an und erzählte was passiert war. Beruhigen konnte er mich nicht. Und ich musste ja irgendwie in der Lage sein, mit dem Auto nach Hause zu fahren. Er riet mir meinen Frauenarzt anzurufen. Das tat ich auch. Der konnte mich tatsächlich beruhigen, sodass ich in der Lage war nach Hause zu fahren. Die nächsten drei Tage habe ich nur geweint und brauchte zum Schlafen Beruhigungsmittel. Wie sollte ich das nur schaffen können? Drei Tage nach dem Termin in der Uniklinik hatte ich einen Termin bei einem Pränatalmediziner für eine Fruchtwasseruntersuchung. Dieser Termin hat mein Leben gerettet. Mein Frauenarzt hatte sich um den Termin gekümmert. Bei dem Termin war auch der Chefarzt der Kinderklinik dabei. Anfangs konnte ich kein Wort sagen, weil ich nur geweint habe. Das musste ich auch nicht. Er fing an und sagte zu mir: "Sie müssen auch erstmal nichts sagen. Ich fange an und Sie klinken sich ein, wenn Sie soweit sind. Ich habe jetzt so viel über Ihr Baby lesen können, aber nirgendwo steht etwas über Sie. Sie sind viel zu kurz gekommen." Ab da hatte er mich. Ich habe direkt gemerkt, dass sich in mir etwas löste. Zusammen mit dem Chefarzt der Kinderklinik fiel dann die Entscheidung für eine Palliativgeburt. Das bedeutet, dass man ganz normal sein Baby austrägt, spontan entbindet und sein Baby nach der Geburt schmerzfrei in den Tod begleitet wird. Und genau diese beiden Entscheidungen haben mein Leben gerettet: die Empathie der beiden Ärzte und meine Entscheidung für Emils Palliativgeburt. Eine befreundete Oberärztin versprach, mich zu entbinden und für mich dazusein.

Ich hatte Emil recht früh versprochen, dass er seinen eigenen Weg gehen und selbst entscheiden darf. Er entschied sich fürs Weiterplanschen. Mittlerweile hatte ich sechs Liter Fruchtwasser. Normal wären ca. 800ml Fruchtwasser. Es war also ein sehr komfortabler Swimming-Pool. Kein Wunder, dass er sich so wohl fühlte. Ich wurde darauf vorbereitet, dass Emil im Bauch versterben würde. Wir den Entbindungstermin nicht erreichen. Bei dieser Menge Fruchtwasser sollte jederzeit ein Blasensprung kommen. Er unter der Geburt versterben könnte. Er nur wenige Stunden alt wird. All das stand für die Ärzte fest, wie das Amen in der Kirche. Nur nicht, dass er leben würde. Zum Glück hatte ich durch Zufall direkt nach Emils Diagnose eine phantastische Trauerbegleiterin bekommen. Sie sah nämlich alles genauso anders, wie ich. So kam ich doch Woche für Woche mit Babybauch zu ihr. Mein kleiner Sturkopf hatte halt ganz andere Pläne. Ich kümmerte mich in der Schwangerschaft um unglaublich viele Sachen. Bis zu Emils Geburt hatte ich tatsächlich alles durchgeplant und organisiert. Beisetzung, Rückbildungskurs für Sternenmütter, Schulbefreiung der Geschwister, Kostenübernahmen durch die Krankenkasse etc.. Emils Planschen und seine Tritte gaben mir so viel Kraft alles erledigen und planen zu können. Ich sagte immer wieder, dass er noch nicht kommen solle, ich hätte noch Pläne und jetzt keine Zeit für eine Geburt. In Wahrheit war ich einfach noch nicht bereit Emil loszulassen. Wir hatten wirklich schöne Wochen zusammen. Ich schwänzte alle Arztbesuche und machte mit Emil nur noch, was uns Spaß machte. Zu essen bekam Emil nur das gute ungesunde Zeug. Ein schwerer Gang war dann, seinen Brüdern zu sagen, dass ihr Geschwisterchen sterben würde. Vor allem mein Quadratwidder hatte mir all seine Emotionen entgegengeworfen. Sein herzzerreißender Aufschrei hat sich tief in meine Seele gebrannt. Als ich ihm erklärte, dass Emil nach seiner Weiterreise als Engel immer bei uns sein wird, war er beruhigter. Seitdem ist er ein unglaublich toller Trauerbegleiter. Er ist so unbeschwert und hat wundervolle Ideen. Freddy Mercury gibt übrigens im Himmel Privatkonzerte für Emil. Na, neidisch? Zu Recht. Auch reichte er mir sein Lieblingskuscheltier. Emil Eisbär von McDonald's. Emil Eisbär nimmt nämlich nicht nur Schmerzen, sondern macht auch schöne Geburten. Spoiler: Mein Quadratwidder hatte Recht. Ich begann auf Instagram über unsere Liebesgeschichte zu schreiben. Eigentlich nur, um unangenehme Fragen zu vermeiden. Aber mittlerweile tut es mir so gut und ich habe auch viel Zuspruch von anderen Frauen erhalten. Außerdem bin ich auf Facebook in einer Gruppe für betroffene Eltern. Der Austausch tut so unglaublich gut. In der Gruppe habe ich auch den Tipp bekommen, dass ich mit Emil nach der Geburt in ein Kinderhospiz gehen darf. Also rief ich sofort dort an und saß am nächsten Tag hochschwanger im Hospiz. Wir waren mittlerweile schon drei Tage über den Termin. Ich besprach, welche Wünsche ich für die Zeit nach Emils Geburt hätte. Nämlich, dass seine Familie die ganze Zeit bei ihm sein dürfte (In Zeiten von Corona ist das in Krankenhäusern nicht so einfach.) und dass ich bei seiner Weiterreise nicht allein sein möchte. Ich wurde darauf hingewiesen, dass ich auch bei einer stillen Geburt ins Kinderhospiz kommen dürfte. Sie haben dort einen speziellen Abschiedsraum und wir hätten dann Zeit und Ruhe zum Abschiednehmen. Das muss man auch erstmal wissen. Ich war jedenfalls megahappy und hatte ein sehr gutes Gefühl. Wir verblieben, dass ich mich nach der Geburt melde und dann jederzeit kommen kann. Auch mitten in der Nacht.

Mein Wunderkind machte weiterhin keine Anstalten auf die Welt zu kommen und planschte fleißig weiter. Es kam der Entbindungstermin und es tat sich überhaupt nichts. Als wir eine Woche über den Termin waren, wurde eine Entlastungspunktion durchgeführt, um meinen Uterus vom vielen Fruchtwasser zu entlasten. Emil fand das natürlich doof und wehrte sich mit Händen und Füßen. Aber: Er planschte weiter. Es verging wieder eine Woche und Emil machte keine Anstalten auf die Welt zu kommen. Ein kleiner Sturkopf halt. Aber ich spürte seine Bewegungen jetzt viel intensiver. Das war so unglaublich schön und kostbar für mich. Weil das viele Fruchtwasser für meinen voroperierten Uterus langsam gefährlich wurde, entschieden wir uns in der 43. Woche doch für eine sanfte Einleitung mit Gel. Es fühlte sich trotzdem genau richtig an. Ich war jetzt tatsächlich bereit für die Geburt. Im letzten Ultraschall planschte Emil fröhlich vor sich hin und hatte Schluckauf. Es war so süß, dass ich dabei einfach die ganze Zeit lächeln musste. Anschließend wurde das Gel eingeführt. Emil war davon ungefähr so beeindruckt wie mein Quadratwidder von Rosenkohl. Es tat sich nämlich absolut gar nichts. Also kam abends eine total liebe Hebamme und gab mir nochmal ein Gel. Und was soll ich sagen? Es tat sich natürlich nichts. Ich sags ja. Sturkopf. Abends bekam ich Schmerzmittel für die Nacht, falls ich doch Wehen bekommen sollte. Ich ging noch einmal baden und hörte wie jeden Abend Rolf Zuckowskis Weihnachtslieder. Eine schöne Weihnachtstradition. Es war der 23.11.2020. Nachts, kurz vor 2 Uhr wachte ich durch die Wehen auf und fragte, ob ich etwas mehr Schmerzmittel bekommen dürfte. Da der Muttermund 4cm offen war, entschieden wir uns für die PDA und ich rief sicherheitshalber meinen Mann an. Er könne sich langsam auf den Weg machen. Kurz nach 2 Uhr war ich dann im Kreißsaal. Dort hatte ich drei sehr heftige Wehen. Als ich gerade in das Bett vom Kreißsaal wechseln wollte, machte es Platsch und mein Swimming-Pool entlud sich um 2:10 Uhr. Oh Mann, war ich froh, dass ich gerade nicht im Edeka oder bei mir Zuhause war. Ich hatte den Kreißsaal unter Wasser gesetzt. Meine Hebamme holte Decken und Tücher, um das Fruchtwassermassaker zu beseitigen. In diesem Moment bekam ich Wehen des Todes und ich schrie das ganze Krankenhaus zusammen. Wahrscheinlich hat man mich bestimmt bis zu mir nach Hause gehört. Plötzlich merkte ich nur noch, dass er kommt. Ich schrie nur noch: "Er kommt!" Meine Hebamme entsetzt: "Wie? Er kommt?" Ich warf mich auf den Rücken und begann zu pressen. In diesem Moment kamen meine Oberärztin und mein Mann herein. Vier Presswehen später kam Emil um 2:21 Uhr auf die Welt. Zwanzig Minuten. Es war echt wie in einem Film und wir sind in die Geschichtsbücher eingegangen. Er lebte und sah mich mit seinen großen Augen an. Für mich war und ist es der schönste Moment überhaupt. Wir haben die ganze Nacht gekuschelt und ich musste ihm von Gott und der Welt erzählen, weil er sofort meckerte, wenn meine Stimme verstummte. Es wirkte, als wenn er sich alles genau einprägen wollte. Morgens bekamen wir Besuch von meinen liebsten Arbeitskollegen. Danach entließ man mich auf eigenen Wunsch um 9 Uhr morgens und wir fuhren direkt ins Kinderhospiz. Hier durfte die ganze Familie zusammen sein. Es kam auch eine total liebe Photographin von "dein Sternenkind" und machte Fotos von uns. Nach Emils Diagnose bekam ich von allen Seiten den Link geschickt. Tatsächlich kannte ich aber "dein Sternenkind" schon lange. Sie blieb sogar so lange, bis alle aus unserer Familie da waren. Ich bin ihr so dankbar, dass sie so schnell kam und uns dieses wundervolle Geschenk gemacht hat. Denn hinterher merkt man erst, dass man eigentlich viel zu wenig Fotos hat. Unser Sturkopf schenkte uns jedenfalls drei unglaublich schöne Tage. Wir haben in diesen drei Tagen mehr gelebt und geliebt als andere in 80 Jahren. Emil hat nur absolute Liebe und Geborgenheit kennenlernen dürfen und wurde nur auf dem Arm getragen. Voll das verwöhnte Baby. Ich pumpte sogar Muttermilch ab, damit er trotz Ösophagus-Atresie den Geschmack meiner Milch kennenlernen konnte. Allein sein Gesichtsausdruck dabei war das wert. Die Schwestern im Hospiz waren so unglaublich lieb und einfühlsam. Es hatte wirklich etwas familiäres und mir sind einige in den drei Tagen wirklich ans Herz gewachsen. Es war der perfekte Ort für uns. Mein Großer blieb rund um die Uhr mit im Hospiz. Mein Quadratwidder wollte lieber zwischendurch nach Hause. Jeder durfte frei entscheiden. In der Nacht seiner Weiterreise lag Emil die ganze Nacht auf meiner Brust und es brannte, wie bei seiner Geburt auch, die ganze Nacht seine von uns selbst gebastelte Kerze. Eine Hospizschwester war die ganze Zeit bei uns. Wir hörten Musik auf dem Handy und redeten viel über Emil. Kuschelten mit ihm und sagten ihm, dass er ruhig weiterreisen dürfe. Er meckerte dann. Ich sagte ihm, dass ich es auch doof fände und ich ihn lieber bei mir behalten möchte. Dass wir aber keine andere Wahl haben und wir uns irgendwann wiedersehen werden. Gegen 3 Uhr hörten seine Atmung und sein Herzschlag auf. Um 4 Uhr kam sein ganz großer Bruder zu uns. Er legte seine Hand auf Emil und was geschah? Mein Wunderkind fing an zu atmen, machte die Augen auf und sah seinen Bruder an. Die Gesichter der Hospizschwestern waren unbezahlbar. Er musste sich halt noch von seinem Bruder verabschieden. Dafür brauchen wir im Krankenhaus keine Defis mehr. Die Hand von meinem Großen reicht aus. Hand rauf und zack, Patient lebt wieder. Spart Strom und ist gut für die Umwelt. Wir kamen aus dem Lachen nicht mehr heraus. So hat Emil tatsächlich mich noch einmal herzhaft lachen gehört. Um 6 Uhr ist Emil im Beisein seines Bruders dann endgültig weitergereist. Das Erste und das Letzte, was mein Sturkopf in seinem Leben gehört hat, war mein Herzschlag. Er hatte auch einen superzufriedenen Gesichtsausdruck. Mein Emil hat es geschafft, dass sowohl seine Geburt als auch seine Weiterreise ein superschönes und witziges Erlebnis für mich bleiben. Ich habe keine Ahnung wie er das gemacht hat. Aber es war definitiv sein Dankeschön an mich. Dafür, dass ich auf ihn gehört habe und er seinen eigenen Weg gehen durfte. Emil hat in seinem kurzen Leben so viel erreichen können. Das hätte er als gesundes Baby alles nicht gekonnt.

Ich bin unglaublich stolz darauf seine Mama zu sein. Auch, dass wir den Weg der Palliativgeburt gegangen sind. Und ich kann nur jede Mama dazu ermuntern auch diesen Weg zu gehen. Selbst wenn so eine schreckliche Diagnose gestellt wird. Man hat keinen Grund zur Eile. Man muss sich auch nicht von den Ärzten zu irgendetwas überreden lassen. Man muss auch nicht die Schwangerschaft abbrechen. Nur man selbst als Mama hat das Recht für sich und den kleinen Mitbewohner zu entscheiden. Und man sollte unbedingt den Weg gehen, der sich für einen selbst richtig anfühlt. Ärzte sind keine Götter in Weiß. Wenn man sich nicht wohlfühlt bei einem Arzt, darf man das ruhig sagen und den Arzt wechseln. Auch besteht schon in der Schwangerschaft ein Anspruch auf Trauerbegleitung. Keine Mama muss ohne Hilfe auskommen. Es war nicht immer leicht, aber ich habe alles für Emil getan, was in meiner Macht stand. Ich habe drei wunderschöne Tage mit ihm gehabt. Das kann mir keiner mehr nehmen. Wenn mein "Emilblues" überhandnimmt, gibt mir das sehr viel Trost. Auch für ihn zu basteln, zu backen oder sein Sternenalbum "Leuchte hell kleiner Stern" zu gestalten gibt mir viel Trost. Dabei fühle ich mich Emil besonders nah. Ich muss mich erst einmal in dieser neuen Welt ohne Emil zurechtfinden. Mein Quadratwidder meinte, dass es gut sei, dass Emil jetzt ein Schutzengel ist. Sonst hätte er bei dem Formel 1-Unfall nicht helfen können. Damit hat er vollkommen Recht. Ich habe auch keine Angst mehr. Emil hat mir gezeigt, dass er alles richtig macht und sich alles fügen wird.

An dieser Stelle muss ich aber noch ganz besonderen Menschen danken, ohne die die Welt und mein Leben ein schlechterer Ort wären: meiner Familie, Julia, Eva, Tante Tina, Hilde, Alexandra, Fr. Hübl und dem Team vom Kinderhospiz "Regenbogenland" und vom Kinderpalliativteam "Sternenboot". Danke für's Dasein, Aushalten und Zuhören.

Auf Emils Abschiedskarte steht:

Ich - Emil Benjamin Meißner - Sturkopf, Wunderkind und coolste Socke überhaupt, rocke jetzt den Himmel. Macht's gut.

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